IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 23/2003, Seite 48 ff.


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Auch bei der Gestaltung gewerblicher und öffentlicher Sanitärräume ist Keramag zum innovativen Trendsetter geworden.

100 Jahre Keramag

Sanitärer Fortschritt aus Tradition

Branchenhistorie wird nicht zuletzt durch die Geschichte bedeutender Unternehmen geprägt. Das gilt in ganz besonderem Maße für die ersten 100 Jahre der Keramag AG, die zugleich die teilweise turbulente Entwicklung der deutschen Sanitärwirtschaft im 20. Jahrhundert fokussieren und anschaulich widerspiegeln. Der nachfolgende Beitrag beleuchtet die Ursprünge, Stationen und (Zwischen)-Resultate dieser Firmenentwicklung.

Die Entstehung des Unternehmens, das sich seit 100 Jahren dem sanitären Fortschritt verpflichtet weiß, geht zurück auf eben diesen sanitären Fortschritt: Die industrielle Entwicklung hatte gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch einen Umbruch im sanitären Bereich zur Folge. In England wurde das "Water Closet" erfunden und schon bald entstand dort eine leistungsfähige Steingutindustrie. Als in Deutschland immer mehr Städte eine Kanalisation erhielten und das WC um die Jahrhundertwende gesundheitspolitisch vorgeschrieben wurde, erkannten und nutzten englische Produzenten von sanitären Spülwaren die sich hier bietenden Chancen. Um die hohen Einfuhrzölle für Fertigwaren zu umgehen, gründeten Thomas W. Twyford, Alfred Johnson und seine Vettern, die Gebrüder Johnson, 1903 in Ratingen, Wesel und Flörsheim Feuertonfabriken. In den Annalen der Stadt Ratingen ist unter dem Datum 21. März 1903 festgehalten: "Ein Engländer lässt in der Nähe des Bahnhofs Ratingen West eine Tonwarenfabrik errichten, die sofort 280 Arbeiter beschäftigen soll".

Da die Sanitärprodukte aufgrund der zunehmenden Urbanisierung lebhaften Absatz fanden, mussten schon bald die ersten Betriebserweiterungen vorgenommen werden. Bis 1914 waren in Ratingen bereits 550 und in Wesel 400 Arbeitnehmer beschäftigt.

Das Werk Wesel kurz nach der Gründung.

Im Wirbel von zwei Weltkriegen

Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurden die Fabriken zwangsverwaltet und später zwangsliquidiert. Im März 1917 bildete sich im thüringischen Meiningen die Gesellschaft Keramische Werke AG mit einem Grundkapital von 100.000 Goldmark und übernahm die Werke in Ratingen, Wesel und Flörsheim von den englischen Eigentümern. Am 19. Juni 1918 erhielt die Firma den noch heute gültigen Namen Keramag Keramische Werke Aktiengesellschaft. In den 1920er-Jahren erarbeitete sich das mittlerweile börsennotierte Unternehmen eine starke Position innerhalb der sanitärkeramischen Industrie, die es auch auf das Exportgeschäft ausdehnen konnte. In dieser Zeit setzte sich ein aus Amerika kommendes neues Material namens "Vitreous China" durch. Nach langen Versuchen gelang es, die neue Masse weiterzuentwickeln. Unter der Bezeichnung "Keravit-Sanitärporzellan" erreichte dieses Material später Weltbedeutung.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges kam Keramag als "feindliches Vermögen" erneut unter Zwangsverwaltung und wurde der Sanitäts-Keramik GmbH, der Feuerton-Verkauf GmbH, der Verkaufsstelle für Eisenbahnbedarfsgegenstände aus keramischen Werkstoffen GmbH und dem Kartell-Verband sanitärkeramischer Werke zugeordnet. Die Nachfrage nach sanitärkeramischen Produkten im In- und Ausland blieb während des gesamten Krieges sehr lebhaft. Als das Gebäude der Hauptverwaltung in Bonn Ende 1944 durch Bomben zerstört wurde, zog die Verwaltung Anfang Januar 1945 nach Ratingen um. Schon wenige Monate nach Kriegsende wurde die Produktion in den unzerstört gebliebenen Werken Ratingen und Flörsheim wieder aufgenommen.

Von Anfang an breite Angebotsvielfalt in Formen, Funktionen und Dekoren.

Zusammenhalt in schweren Zeiten

1946 durfte auch das Werk Wesel wieder produzieren. Zunächst aber ging es um das bloße Überleben. Gerade in dieser schweren Zeit zeigte sich, was Zusammenhalt und soziale Verantwortung bewirken können: Zwischen Kriegsende und Währungsreform gab es für die alte Reichsmark kaum noch etwas zu kaufen. Die Not der Menschen war geprägt von 900 Kalorien täglich sowie eklatantem Mangel an Kleidung und Heizmaterial. Daher wurde zur Versorgung der "Keramagianer" im Ratinger Werk eine Geschirrproduktion aufgebaut, um Tauschobjekte für Butter, Eier, Speck und andere Lebensmittel zu haben. Mitarbeiter fuhren über Land und wickelten diese Kompensationsgeschäfte ab. Darüber hinaus galt es, die frühere Leistungsfähigkeit und den Anschluss an die internationale Konkurrenz so schnell wie möglich wiederherzustellen. Dies war nur durch Verbesserung der Betriebsanlagen und Rationalisierung der Fertigungsmethoden möglich. Außerdem wurde Wohnraum für die Mitarbeiter bereitgestellt. So entstand 1950 die Baugesellschaft Keramag mbH, die in der Folgezeit mehrere hundert Wohneinheiten für Mitarbeiter und deren Familien errichtete.

Das alte Firmenlogo: Frühzeitiges Bekenntnis zur Markenqualität.

Neuausrichtung zum Markenhersteller

In den Werken Wesel und Flörsheim wurden Waschtische, Klosetts, Sitzwaschbecken, Urinale und andere Objekte aus Keravit-Sanitärporzellan hergestellt, während das Werk Ratingen Küchenspültische, Spülsteine, Waschtische, Urinalanlagen, sanitäre Krankenhauseinrichtungen und ab 1960 großformatige Baukeramik aus Feuerton fertigte.

Trotz Serienproduktion viel Handarbeit.

Mehr und mehr war bei der Produktentwicklung nicht nur auf die rationelle Herstellung, sondern auch auf die steigenden Ansprüche der Kunden zu achten. Neben der Funktionalität und Qualität rückte auch die Produktgestaltung in den Mittelpunkt. In den ausgehenden 1960er-Jahren verließ Keramag den bisherigen Weg der unprägnanten, zufälligen Formen. Mit "Preciosa" gelang es, eine durch wenige geometrische Akzente ästhetisch gestaltete Waschtischlösung auf den Markt zu bringen, die schon damals den zeitlosen Anspruch "Wir schaffen bleibende Werte" verdeutlicht hat. Rechteck und Kreis als Grundform bildeten hier ein neues Design und zugleich den Ausgangspunkt für weitere wegweisende Konzepte.

Badkomfort in den Dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Anfang der 1980er-Jahre erregte Keramag erneut mit einem modernen Design Aufsehen: ein Waschtisch, bei dem die Armaturenbank ohne störende Stufenausprägung auf einer Fläche mit der Waschtischkumme liegt. Die optische Klammer bildete ein Ring mit halbkreisförmigem Querschnitt. Funktionalität, Hochwertigkeit und Ästhetik sind dabei von dem Modeschöpfer und Designer André Courrèges miteinander verschmolzen worden. Was mit der Keramik-Couture "Courrèges" im gehobenen Marktsegment gelungen war, schafften die Badserien "Mango" und "Koala" im mittleren Bereich: Ästhetische Aspekte setzten sich immer mehr durch. In der Skala der Kaufentscheidungen rückten Design und Anmutung des Badezimmers an die erste Stelle. Damit wurden auch die strategischen Weichen gestellt für eine systematische Markenprofilierung.

Mit einer Umstrukturierung machte sich das Unternehmen fit für die Zukunft. Das Werk Wesel wurde schrittweise zu einer hochmodernen Fertigungsstätte ausgebaut, Flörsheim und Ratingen wurden als Produktionsstandorte aufgegeben. Das Sortiment erweiterte sich um Küchenspülen, Wannen, Brausetassen und Whirlpools. Badmöbel, Accessoires sowie elektronische Spüleinrichtungen und Armaturen kamen hinzu. 1989 erfolgte die Gründung des eigenen Design-Centers in Ratingen.

"Marktführerschaft verpflichtet". Unter diesem Motto sorgen Dr. Georg Wagner (Vorstandsvorsitzender) und Jobst Brehe (Vorstand Technik) für ständige Innovation bei Produktion, Funktionen, Design, Vermarktung und Service.

Innovativer Trendsetter

Schon kurz nach der Wiedervereinigung übernahm Keramag unternehmerische Verantwortung in den neuen Bundesländern. Der Badkeramik-Marktführer der ehemaligen DDR in Haldensleben wurde 100%ige Tochtergesellschaft des Unternehmens. Mit Sanitec, einem europäischen Anbieter von Sanitärkeramik, Wannen und Duschen, als neuen Mehrheitsgesellschafter im Rücken gelang es, Know-how auch im Bereich des durch den Wellness-Trend stärker nachgefragten Marktsegments der Whirlpools und Fitness-Duschen sowie im Bereich der Mineralwerkstoffe zu erwerben. Das Produktportfolio wurde so stetig breiter.

Gegenwärtig umfasst das Sortiment 24 Badserien, attraktive Waschplatzkonzepte, Speziallösungen für junge, ältere und behinderte Menschen sowie multifunktionale Wellness-Produkte für alle Geschmackswelten, räumlichen Gegebenheiten und Investitionsetats. Installiert werden diese Markenprodukte vor allem in privaten Badezimmern sowie öffentlichen und gewerblichen Sanitärräumen. Im letztgenannten Bereich kommen auch maßgefertigte Doppel- und Reihenwaschanlagen sowie Waschtischmodule aus dem ebenso vielseitigen wie robusten Mineralwerkstoff "Varicor" zum Einsatz.


B i l d e r :   Keramag, Ratingen


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