IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 15/2003, Seite 30 ff.


HEIZUNGSTECHNIK


Planungsgrundsätze für den Erhalt und die Nutzung von historischen Gebäuden

unter besonderer Berücksichtigung von Raumtemperierung und Bauphysik

Dipl.-Ing. Rainer Heimsch

Für die Planung, den Bau und Betrieb von haustechnischen Anlagen zur Versorgung denkmalwerter Gebäude mit Wärme, Feuchte und erforderlichem Mindestluftwechsel lagen bislang nur wenige auf Erfahrung beruhende Planungsgrundsätze vor. In aller Regel wurde deshalb auf Berechnungsverfahren, Normen und Richtlinien aus der konventionellen Bau- und Versorgungstechnik zurückgegriffen. Mit schwerwiegenden Folgen: Durch fehlerhaft dimensionierte, falsch bediente und mangelhaft gewartete Heizungsanlagen sind in den letzten fünfzig Jahren in historischen Gebäuden größere - teilweise irreversible - Schäden entstanden, als durch die Nutzung in den Jahrhunderten zuvor. Vielfach werden diese Objekte zu schnell aufgeheizt, zu hoch oder zu lange und damit "trocken" geheizt.

Bild 1: Einflussfaktoren auf das Raumklima in Baudenkmalen.

Ein wesentliches Ziel der Planung von haustechnischen Anlagen in denkmalwerten Gebäuden ist es, ein Raumklima zu schaffen, das einerseits den Anforderungen des Baudenkmales aus bauphysikalischer Sicht gerecht wird, zum anderen jedoch auch den gestiegenen Behaglichkeitsansprüchen der Nutzer entspricht. /1/ Das Raumklima trägt zur Erhaltung oder Schädigung der historischen Bausubstanz und der Einrichtung bei. Alltägliche Schadensbilder, wie z.B. Rissbildung, Versporung, Blasenbildung und Frostschäden sind häufig auf eine unzureichende Berücksichtigung bauphysikalischer Zusammenhänge zurückzuführen.

Im Bild 1 sind unter Berücksichtigung der Arbeiten von Dr. A. Pfeil /2/ die wesentlichen Einflussfaktoren auf das Raumklima historischer Bauten mit ihren jeweiligen Wechselwirkungen dargestellt. Unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Einflussfaktoren und ihrer vielfältigen Wechselwirkungen hat sich in der Praxis ein Klimafeld für Nutzung denkmalwerter Gebäude herauskristallisiert, das gleichermaßen für die Lufttemperatur und die relative Luftfeuchte Maximal- und Minimalwerte empfiehlt bzw. in Verordnungen einzelner Landeskirchen vorschreibt. Diese sind im Bild 2 in einem h-X-Diagramm eingezeichnet.

Bild 2: Grenzwerte für Raumlufttemperatur Tu bzw. To und relativer Raumluftfeuchte F-max und F-min für die Beheizung von temporär genutzten Gebäuden.

Wie dort ersichtlich ist, soll die Grundtemperatur etwa ca. 8°C, die Nutzungstemperatur etwa 16°C betragen. Für die relative Luftfeuchte hat sich ein Bereich zwischen ca. 55 - 75% als sinnvoll erwiesen. Die Veränderung von der Grund- zur Nutzungstemperatur, in der Praxis auch mit Aufheizgeschwindigkeit bezeichnet, soll dabei in dem Bereich zwischen 0,5 bis max. 1,5 K/h liegen.

Zur Reduzierung der Luftzirkulation gleichbedeutend mit dem Transport von Feinststäuben soll der Temperaturunterschied über der Höhe eines zu beheizenden Raumes 1-2K nicht überschreiten. Die Umsetzung dieser Anforderungen an die Temperierung von Baudenkmalen sind im Bild 3 in Form von praktisch gemessenen Daten in einer sanierten Kirche dargestellt. Sehr gut kann man dabei Grund- und Nutzungstemperatur sowie Verlauf der relativen Luftfeuchte in den jeweiligen Nutzungsphasen erkennen.

Ermittlung des Wärmebedarfes

Für die Berechnung des Wärmebedarfes von Kirchen reichen die in der DIN 4701, Regeln für die Wärmebedarfsberechnung, genannten Ansätze nicht aus, um einen den tatsächlichen baulichen Erfordernissen und Nutzungsverhältnissen entsprechenden Wärmebedarf zu bestimmen. Pfeil hat in seiner 1975 veröffentlichten Dissertation auf diese Tatsache hingewiesen, die bis dahin bestehenden Berechnungsgrundlagen zusammengefasst und damit erste Hilfestellungen für den praktischen Planungsalltag gegeben./3/

Bild 3: Messergebnisse von Temperatur- und Feuchteverlauf in einer sanierten Kirche. Oben: Temperatur, unten: rel. Luftfeuchtigkeit.

Auch in der soeben erschienenen neuesten Ausgabe des "Taschenbuches für Heizung + Klimatechnik" (Ausgabe 2003/4) von Recknagel/Sprenger/Schramek /4/ wird für die Ermittlung des Wärmebedarfes weiter auf die Arbeiten von Krischer und Kast aus dem Jahre 1957(!) /5/ verwiesen, deren Arbeiten in der DIN 4701, Regeln für die Berechnung des Wärmebedarfes von Gebäuden Teil 1 und 2 in einem Sonderkapitel ihren Niederschlag gefunden hat. Demzufolge wird der Wärmebedarf für selten beheizte Gebäude üblicherweise immer noch nach den dort genannten Gleichungen ermittelt

Q = QF + QW + QL

mit

QF = Wärmebedarf für Fenster und sonstige nicht speichernde Bauteile auch Decken

QW = Wärmebedarf zum Aufheizen speichernder Bauteile, auch Fußböden

QL = Lüftungswärmebedarf

Als Grundtemperatur wird in /4/ 5°C als meist angewandte Temperatur genannt. Weiter werden als Temperaturdifferenz für die Berechnung von QF und QL die in der Norm genannte Außentemperatur und für innen die gewählte bzw. vereinbarte Raumlufttemperatur genannt. Für die Berechnung von QW die Differenz von Innentemperatur vor und nach dem Aufheizvorgang.

Für den Lüftungswärmebedarf wird dann noch ein Luftwechsel von 0,5- bis 1-fach vorgeschlagen.

Bild 4: Auswirkung unterschiedlicher Grund- und Raumtemperaturen auf den Wärmebedarf von unterbrochen beheizten Gebäuden.

Praxisgerechte Berechnungsgrundlagen

Die genannten Annahmen sollten in der Praxis deutlich unterschritten werden, da sonst ein zu hoher Wärmebedarf als Ergebnis ermittelt wird. Die Folge davon sind zu groß dimensionierte Anlagen, die insbesondere bei kulturell hochwertigen Bauten wie Kirchen, Schlössern, aber auch Wohnhäusern zu unvertretbaren baulichen Belastungen führen können.

Neuere Berechnungen und Untersuchungen haben zeigen können, dass gerade bei speichernden Gebäuden die Außentemperaur deutlich über den Normaußenwert angehoben werden kann /8/. In dem vorliegenden Projekt wurde nach eingehender Analyse mehrerer Klimajahresgänge anstelle einer Normaußentemperatur von ta = -10°C eine rechnerische Außentemperatur von ta = -2°C vereinbart. Dies wirkt sich insbesondere bei historischen Gebäuden mit z.T. sehr hohen Fensteranteilen enorm aus. Entsprechendes gilt auch für den Lüftungswärmebedarf, sowohl für die dabei anzusetzende Temperaturdifferenz, als auch für den anzusetzenden Lüftungswärmebedarf. Hier sind die Werte in Abhängigkeit der Kirchengröße und des Fensteranteils ebenfalls deutlich niedriger anzusetzen.

Für das Wertepaar der Innentemperaturen, zum Beginn und zum Ende der Aufheizzeit, ist in ganz besonderem Maße zum einen die Nutzung des Baudenkmales und zum anderen die von den Besuchern tatsächlich empfundene Temperatur zu berücksichtigen. Durch umfangreiche Messungen und Berechnungen konnte nachgewiesen werden, dass zu hohe Spreizungen dieser Wertepaare zu wesentlich ungünstigerem Nutzungsverhalten führen als näher beieinanderliegende Wertepaare. Berücksichtigt man die Tatsache, dass die empfundene Temperatur als arithmetische Mittel von Strahlungstemperatur der Umschließungsflächen und der Lufttemperatur berechnet wird, wird deutlich, dass erst durch die Variation von Luft- und Strahlungstemperatur ein Optimum an Behaglichkeit zu erzielen ist. Die Auswirkungen auf den Wärmebedarf sind dabei ebenfalls erheblich, wie dies aus dem Bild 4 abzulesen ist.

Aus dieser Tabelle wird deutlich, dass insbesondere bei großen Temperaturspreizungen ein deutlich höherer Wärmebedarf zu erwarten ist. Parallel dazu muss dann auch noch die Lufttemperatur angehoben werden, um die "gleiche" empfundene Temperatur zu erreichen wie bei geringeren Temperaturdifferenzen. Hier muss im Einzelfall eine sehr differenzierte Berechnung durchgeführt werden.

Bild 5: Diffusionsoffener, gedämmter Fußbodenaufbau zur Verbesserung des Feuchtehaushaltes.

Feuchtehaushalt

Ein ganz besonders schwieriges Problem stellt die Quantifizierung eines angemessenen, den Anforderungen des jeweiligen Baudenkmales entsprechenden Feuchtehaushaltes dar. Vielfach wird wegen des Inventars in Museen, denkmalwerten Kirchen, Schlössern und Profanbauten von Denkmalschützern, Nutzern oder z.B. Orgelsachverständigen ein Mindestwert für die relative Luftfeuchte von 55 - 60% gefordert. Dieser Wert ist - wie im h-X-Diagramm
leicht nachzuvollziehen - insbesondere in kalten, trockenen Klimasituationen, in beheizten oder auch nur temperierten Räumen nicht oder nur sehr schwer zu halten. Eine mechanische Befeuchtung stellt nur in seltensten Fällen eine Lösung dar, da insbesondere bei nur temporär genutzten Gebäuden beim Einsatz der Befeuchtung in vielen Bereichen des Bauwerkes aufgrund niedriger Oberflächentemperaturen Taupunktsunterschreitungen zu erwarten sind bzw. provoziert werden. Die daraus resultierenden Schäden an Fresken, Bildern, Orgeln etc. lassen eine Befeuchtung nur im Einzelfall als richtig erscheinen.

Hier hat es sich in der Praxis vielfach als sinnvoll erwiesen, eine feuchtegeführte Regelung einzusetzen, damit zum Schutze des Objektes bzw. seines Inventars die Werte der relativen Luftfeuchte zumindest in vertretbaren Grenzen eingehalten werden können. In der Praxis ist jedoch festzustellen, dass dadurch häufig Nutzungs- und oder Komforteinbußen auftreten, die nur von verständnisvollen Nutzern akzeptiert werden.

Bild 6: Fußbodenheizung mit Warmwasser-/Warmluftheizung und dampfdiffusionsoffenem Kiesrandbett.

Konstruktive Maßnahmen zur Verbesserung des Feuchtehaushaltes

Bei Sanierungen in historischen Bauten muss häufig im Erdgeschoss der gesamte Fußboden erneuert werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass insbesondere bei temporär genutzten Gebäuden auf einen diffusionsoffenen Fußbodenaufbau zur Regulierung des Feuchtehaushaltes zurückgegriffen werden sollte. So wurde vom Verfasser in enger Abstimmung mit allen am Bau beteiligten Fachleuten, der ausführenden Fachfirma und einem Hersteller beim Einbau von Fußbodenheizungen bereits mehrfach ein diffusionsoffener Fußbodenaufbau gemäß Bild 5 gewählt um einen größtmöglichen Feuchtegewinn über das Bauwerk zu erhalten.

Ein weiterer positiver Effekt dieses gewählten Fußbodenaufbaues liegt darin, dass es vermieden wird, wie sonst üblich, dass in den Außenwänden die abgesperrte Feuchtigkeit wie bei einem Kerzendocht nach oben "gesaugt" wird. Dadurch kann eine Schädigung von historischer Bausubstanz durch aufsteigende Feuchtigkeit in Außenwänden weitestgehend reduziert werden. Die nicht durch die diffusionsdurchlässige Gleitschicht in den Raum aufsteigende Feuchtigkeit kann über die kiesbefüllte Randzone in den Raum eintreten ohne die Außenwand zu belasten. In der Stadt Wismar ist in den Jahren 1994 bis 2002 der Turm mit den Seitenkapellen der im Krieg durch Bomben beschädigten und in den Nachkriegsjahren durch Sprengung fast völlig zerstörten St. Marienkirche (umbauter Raum jeweils ca. 1400 m2) restauriert und einer neuen Nutzung als Museum und Ausstellungsort zugeführt worden. Die Marienkirche wurde mit einer Kombination von Fußbodenheizung mit Warmwasser-Warmluftheizung zur Temperierung ausgestattet. Für die Regelung der Heizungsanlage wurde eine digitale Aufheizautomatik mit integrierter Feuchtevorrangschaltung eingebaut. Über ebenfalls feuchtegesteuerte Abluftventilatoren können die einzelnen Kapellen (Nord-, Süd- und Turmkapelle) separat be- und entlüftet werden. Auch hier wurde ein weitestgehend diffusionsdurchlässiger Fußbodenaufbau mit diffussionsoffener Randzone eingebaut, um möglichst günstige Feuchteverhältnisse bei Verzicht auf mechanische Befeuchtung zu erhalten. Aufgrund der Nutzung wurde hier eine durchgehende Temperierung mit 14°C ausgewählt.

Bild 7: Einbaudetail Warmwasserfußbodenheizung mit dezentraler Warmwasser-Warmluftheizung und diffusionsoffener Randzone.

Thermische Behaglichkeit

Eine weitere wichtige Fragestellung bei der Sanierung von Baudenkmalen ist der bauphysikalische, betriebswirtschaftliche und ökologische Nutzen von Wärmedämmung im Dach bzw. Fußboden sowie Einfach- oder Doppelverglasung der Fenster, insbesondere im Hinblick auf die Reduzierung des Wärmebedarfes, der zu erwartenden Energieeinsparung, des natürlichen Luftwechsels und der Steigerung der thermischen Behaglichkeit. In früheren Untersuchungen wurde bereits nachgewiesen, dass sich der Einsatz von Wärmedämmungen z.B. auf Gewölben in Kirchen, Schlössern und Profangebäuden bei nur temporärer Nutzung und niedrigen Innentemperaturen wirtschaftlich nicht darstellen lässt. Durch bauphysikalisch bedenkliche, teilweise falsch aufgebrachte Wärmedämmungen wurden sogar negative Effekte erzielt. So kam es zu Gewölbedurchfeuchtungen mit anschließender Zerstörung von Deckengemälden und ähnlichem. Insofern muss vor dem Einsatz von Wärmedämmung und auch Doppelverglasung immer in jedem Einzelfall die Sinnhaftigkeit nachgewiesen werden.

Kaltluftabfall an Fenstern

In vielen alten Kirchen sind in Abhängigkeit der gewählten Nutzungstemperaturen mit die größten Wärmeverluste durch Transmissions- und Lüftungswärmeverluste der einfach verglasten Fenster bedingt. Bei hohen Fenstern mit Einzelverglasung entstehen im Winter wegen des Kaltluftabfalls und der daraus resultierenden Zugerscheinungen oft Behaglichkeitsprobleme. Trotz hoher Lufttemperaturen kommt es häufig zu Beschwerden durch Besucher und Nutzer. Derzeit gibt es keine Richtlinien dahingehend, wie man in Kirchen diesen Kaltluftabfall vermeiden kann. Oft wird versucht, mit unter den Fenstern angebrachten Wärmequellen durch die aufsteigende Wärme die Zugerscheinungen zu reduzieren. Nicht zuletzt aus ökologischen Gründen müssen aber andere Lösungen mit kleinerem Energieaufwand untersucht werden.

Ein Ansatzpunkt verspricht ein einfaches Rechenverfahren - entwickelt von Prof. Dr. Bjarne W. Olesen -, das dem Fachplaner hilft, die nicht zu vermeidenden Zugerscheinungen zu reduzieren /9/. Dieses Verfahren soll nunmehr auch an bis zu 28 Meter hohen einfachverglasten Kirchenfenstern experimentell in einem Forschungsprogramm, das u.a. von der Deutschen Bundesstiftung Umweltschutz (DBU) in Osnabrück mitfinanziert wird, eingesetzt, geprüft und für den Einsatz in denkmalwerten Gebäuden bewertet werden.

 


B i l d e r :   Wirsbo-Velta GmbH & Co. KG, Norderstedt


L i t e r a t u r :

/1/ Arbeitsgruppe Konferenz der Bauamtsleiter der Gliedkirchen der EKD - Kirchliches Bauhandbuch - Kapitel 6 Kirchenheizungen (Autor Dipl.-Ing. R. Heimsch)

/2/ R. Heimsch: Energiesparendes Beheizen und Temperieren von historischen Gebäuden/Internationale Zeitschrift für Bauinstandsetzen und Baudenkmalpflege, 8. Jahrgang, Heft 4, S. 379-394 (2002)

/3/ Kirchenheizung und Denkmalschutz, Dr.-Ing. A. Pfeil, Bauverlag GmbH, Wiesbaden und Berlin 1975

/4/ Recknagel /Sprenger/Schramek: Taschenbuch für Heizung+Klimatechnik 03/04, 2003 Seite 1030ff.

/5/ Krischer, O. u. W. Kast: Zur Frage des Wärmebedarfes beim Anheizen selten beheizter Gebäude. Ges. Ing. 78 (1957). S. 321/25

/6/ DIN 4701, Teil 1 u. 2, Regeln für die Berechnung des Wärmebedarfes von Gebäuden, 1983

/7/ Karl Petzold: Bauklimatische Analyse der Frauenkirche in Dresden, gi-118 (1997), H 5, S.223/245, H 6 (1997), S. 290-304 u. gi 119 (1998) H 1,S. 11/16

/8/ R. Heimsch: Nutzungsgerechte und Substanzerhaltende Temperierung von St. Georgen, Vortrag anlässlich der 10. Jahrestagung des Internationalen Wissenschaftlichen Beirates zum Wiederaufbau von St. Georgen - unveröffentlicht

/9/ Prof. Dr. Bjarne W. Olesen. Sind "kalte" Fensterflächen heute überhaupt ein Problem für die Behaglichkeit? Vortrag auf dem velta-Kongress 2002


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