IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 5/2003, Seite 50 ff.


INTERVIEW


Sanitäre Fitness-Produkte

Ein Marktsegment auf dem Prüfstand

Der Bereich der sanitären Fitness- und Wellness-Produkte ist seit Jahren mit hohen Wachstumshoffnungen verbunden. Anlass genug für eine kritische Zwischenbilanz, um Wunsch und Wirklichkeit abzugleichen. Vor diesem Hintergrund sprach die IKZ-HAUSTECHNIK-Redaktion mit Dirk Geißler, Leiter Produktmanagement der Keramag AG, über Hintergründe, Akzeptanzprobleme, Verkaufschancen und marktgerechte Problemlösungen.

IKZ-HAUSTECHNIK: Der Begriff Wellness geistert in den letzten Jahren gelegentlich wie ein Wundermittel zur rekordverdächtigen Nachfragebelebung durch die Sanitärbranche. Ist hier eigentlich nur der Wunsch der Vater des Gedankens?

Geißler: Es ist wohl wahr, dass Wellness für manchen zu einem wohlfeilen Modewort geworden ist. Wenn dieser Begriff nur wie ein Etikett zur Veredelung ziemlich normaler Produkte und Dienstleistungen missbraucht wird, so führt dies zu einer kontraproduktiven Inflationierung und Sprachverwirrung. So gibt es jetzt beispielsweise neben normalen Duschgels auch Wellness-Duschgels, die sich einzig und allein in der Duftnote unterscheiden.

IKZ-HAUSTECHNIK: Alle erreichbaren Untersuchungen zeigen, dass immer mehr Bundesbürger an einer Funktionsausweitung ihres Privatbades in Richtung Fitness interessiert sind. Schlägt sich dieser Trend eigentlich schon in signifikanten Umsatzsteigerungen nieder?

Geißler: Die Sanitärbranche steht hier erst am Anfang eines offenkundig nachhaltigen Wandels im Bewusstsein und Investitionsverhalten. So ist z.B. eine hierzulande noch völlig unterentwickelte Verbreitung von Whirlpools festzustellen. Wer hier Ursachenforschung betreibt, trifft auch auf Vorurteile wie die weit verbreitete Angst vor der Legionärskrankheit, obwohl diese bei sachgemäßer Nutzung moderner Hygienetechnik unbegründet ist.

"Der vielfältige Nutzen sanitärer Fitness-Produkte ist weiten Bevölkerungskreisen noch unbekannt."
Dirk Geissler, Leiter Produktmanagement der Keramag AG.

IKZ-HAUSTECHNIK: Es handelt sich also vor allem um Kommunikationsprobleme?

Geißler: Nicht nur, aber auch. Verbraucherinformation und -aufklärung verkörpern eine Bringschuld. Dieser Tatsache müssen alle drei Vertriebsstufen bei Vermarktung und Kundenberatung stärker Rechnung tragen. Der vielfältige Nutzen sanitärer Fitness-Produkte ist weiten Bevölkerungskreisen noch unbekannt. Außerdem muss dem deutschen Endverbraucher das offene Bekenntnis zum emotionalen Nutzen viel näher gebracht werden. Während sich die Franzosen z.B. mit einem Glas Champagner verwöhnen wollen und dies auch offen bekennen, heißt es hierzulande oft: Den nehm ich nur dem Kreislauf zuliebe. Man sucht ein Alibi-Argument, weil "sich selbst Verwöhnen" und ein wenig Luxus in breiten Kreisen noch nicht voll akzeptiert sind.

IKZ-HAUSTECHNIK: Sind hier nicht vor allem die Hersteller gefordert?

Geißler: Keramag hat sich im vergangenen Jahr sehr systematisch mit dieser Frage befasst. Als Ergebnis ist eine neue Initiative zur besseren Vermarktung von Fitness- und Wellness-Produkten gestartet worden. Dabei handelt es sich um ein innovatives Seminarkonzept für Ausstellungsberater und Verkäufer, das unter dem Titel "Wasserwelten by Keramag" eine Fülle von praxisgerechten Informationen und Anregungen für die erfolgreiche Verkaufsberatung vermittelt.

IKZ-HAUSTECHNIK: Wo liegt die Besonderheit dieses Konzeptes?

Geißler: Wir setzen bei dieser Initiative auf eine - wie wir meinen - besonders effektive Verbindung von Sachinformation und eigenem Erleben. Die Teilnehmer erhalten also nicht nur das notwendige Hintergrundwissen für eine zielführende Verkaufsargumentation, sondern erfahren auch - buchstäblich am eigenen Leib - die vielfältigen Wirkungen des Aqua-Trainings. Daher finden die Seminare ausschließlich in entsprechend ausgestatteten Wellness-Hotels statt. Die bisher außerordentlich gute Resonanz zeigt, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind, um unseren Vertriebspartnern die Tür zu diesem wachstumsträchtigen Zukunftsmarkt zu öffnen. Wir wollen den Profis im Handwerk helfen, nicht nur ein Produkt zu verkaufen, sondern auch eine emotionalisierte Lebenswelt zu transportieren.

Voll im Wellness-Trend liegen die Fitness-Duschen "Aura". Die kleinste Version benötigt nur eine Grundfläche von 97,5 x 75 cm und lässt sich problemlos anstelle einer konventionellen Dusche installieren.

IKZ-HAUSTECHNIK: Ist das spezielle Produktsortiment in diesem Bereich Ihrer Meinung nach schon umfassend und marktgerecht genug?

Geißler: Die Angebotsvielfalt ist zweifellos beachtlich. Das gilt für die Qualität ebenso wie für die Funktionalität und das Design. Ein echtes Verkaufshindernis waren bisher oft die Raumverhältnisse. In den durchschnittlich nur 7,7 qm großen deutschen Privatbädern ist z.B. für großvolumige Fitness-Inseln kein Platz. Wenn wir auch breitere Schichten mit gehobener Kaufkraft für derartige Produkte gewinnen wollen, dann sind raumökonomische Komfortlösungen gefragt, die sich anstelle einer herkömmlichen Dusche installieren lassen. Auf diese Markterfordernisse hat sich Keramag vor allem mit den Raumspar-Varianten des Fitnessduschen-Programms "Aura" eingestellt. Die neueste Version kommt mit einer Grundfläche von 97,5 x 75 cm aus und bietet dennoch die gesamte Anwendungspalette, die von Ganzkörpermassagen und Kaskaden über Dampf- und schottische Wechselduschbäder bis zu Kneipp-Anwendungen und Fußmassagen reicht.

IKZ-HAUSTECHNIK: Was die Raumsituation in Deutschlands Bädern angeht, so haben Sie sicherlich Recht. Aber erweisen sich in der Praxis nicht auch die Endgebraucherpreise, die sich nicht selten dem Wert eines Kleinwagens annähern, als Hindernis für eine zügigere Verbreitung in deutschen Haushalten?

Geißler: Natürlich sind die von Ihnen genannten Luxus-Produkte vorrangig auf kaufkraftstarke Zielgruppen ausgerichtet. Auch hier muss die Sortimentstiefe bedarfsgerecht gestaffelt sein. Im Sanitärfachhandel sollte also - um einen Vergleich zur Automobilbranche herzustellen - nicht nur der S-Klasse-Mercedes angeboten werden, sondern auch Mittelklasse- und Kompakttypen. Wer dieses Sanitär-Segment "demokratisieren" will, muss also auch für den Normalverbraucher erschwingliche Erzeugnisse im Sortiment haben. In diesem Sinne darf ich auf unsere neuen "Primera"-Whirlpools verweisen, die sich nicht nur durch Variantenvielfalt und Qualität auszeichnen, sondern auch durch ihr attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Thema Körperkult absolut en vogue ist. Schon 5,4 Mio. Deutsche besuchen regelmäßig die rund 6500 Fitness-Studios. Bis 2010 wird die Zahl der Nutzer auf 10 Milli-onen steigen.

Sanitäre Fitness auch für "Otto Normalverbraucher": Ausgereifte Markenqualität zum günstigen Preis bieten die neuen "Primera"-Whirlpools in zahlreichen Varianten.

IKZ-HAUSTECHNIK: Haben wir es bei der Preisakzeptanz auch mit einer psychologischen Sperre zu tun?

Geißler: Das ist richtig. Die Preisbewilligungsbereitschaft der Menschen wird empirisch geprägt. Viele Besserverdiener halten es für selbstverständlich, für einen ordentlichen Familienurlaub 5000 Euro und mehr auszugeben. Ein einzelnes Sanitärprodukt derselben Preisklasse erscheint dagegen auf den ersten Blick als zu teuer, weil man in diesem Wohnbereich bisher noch nicht an solche Kategorien gewöhnt ist. Bei gekonnter Verkaufsberatung, die dem dreiwöchigen Urlaub den langjährigen Nutzen einer multifunktionalen Fitnessdusche für die ganze Familie gegenüberstellt, relativiert sich die Betrachtungsweise sehr schnell. Oft ist damit der Kaufabschluss schon programmiert.

IKZ-HAUSTECHNIK: Kommen wir zu den Bauherren und Modernisierern, die besonders empfänglich sind für Fitness-Produkte. Wie lässt sich diese Zielgruppe eingrenzen?

Geißler: Für Fitness- und Wellness-Fans sind hohe Bildung, überdurchschnittliches Einkommen und die Zugehörigkeit zu gehobenen Berufsgruppen typisch. Marktforscher weisen über 19 Mio. Berufstätigen in Deutschland einen Wellness-orientierten Lebensstil zu. Legt man den Milieu-Ansatz von Sinus zugrunde, so gehören dazu vor allem die "Etablierten", die "modernen Performer" und die "Postmateriellen". Über 51 % sind älter als 40 Jahre. Bei 37,5 % liegt das monatliche Haushaltsnettoeinkommen oberhalb von 2500 Euro.

IKZ-HAUSTECHNIK: Letzte Frage. Wir hören immer öfter von Sanitär-Großhändlern und -Handwerkern, die im Wellness-Bereich ihre Marktnische gesucht und gefunden haben. Gibt es dazu Zahlen und Erkenntnisse?

Geißler: Gesichertes und repräsentatives Zahlenmaterial liegt uns dazu nicht vor. Grundsätzlich trifft Ihre Annahme aber den Nagel auf den Kopf. Es gibt vor allem im Handwerk eine deutlich steigende Zahl von Betrieben, die sich über den Wellness-Trend vom Wettbewerb abheben und so eine Sonderstellung am lokalen Markt erreicht haben. Die durch Werbung herausgestellte Spezialisierung eröffnet nicht nur im Altkundenbereich neue Verkaufspotenziale, sondern erleichtert auch die Gewinnung neuer, meist kaufkraftstarker Kunden. Gerade bei diesem Lifestyle-Thema funktioniert das System der Weiterempfehlung durch zufriedene Kunden. Hinzu kommt natürlich auch, dass der Sanitär-Markt anspruchsvoller Fitness-Produkte noch nicht durch fachfremde Anbieter heimgesucht wird. Mit anderen Worten: Gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten eröffnet das Fitness- und Wellness-Segment den Sanitärprofis lukrative Chancen zum Ausgleich der vielerorts zu verzeichnenden Rückgänge im klassischen Neubau- und Modernisierungsgeschäft.


B i l d e r :   Keramag AG, Ratingen


[Zurück]   [Übersicht]   [www.ikz.de]