IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 21/2002, Seite 34 ff.


HEIZUNGSTECHNIK


Die neue Chance

Von der Heiztechnik zur Systemtechnologie für Gebäude und Energiesysteme

Dr.-Ing. Heinrich-Hermann Schulte*

Der Verordnungsgeber hat mit Inkraftsetzung der Energieeinsparverordnung zum Februar 2002 einen neuen Weg zur Energieeinsparung aufgezeichnet. Er bietet neben einer weiteren Reduzierung des spezifischen Energiebedarfes von Gebäuden die Chance, dass sich die heutige Anlagensystemtechnik zum Hauptverantwortlichen für wohnliche Behaglichkeit und Komfort qualifiziert.

Erstmals wird über eine Verordnung die Möglichkeit eröffnet, den spezifischen Energiebedarf durch eine ganzheitliche thermodynamische Bewertung von Gebäudeisolation und Anlagensystem deutlich zu mindern. Eine Minderung um ca. 30 % gegenüber dem heutigen Energiebedarf ist die Zielvorgabe, sodass Niedrigenergiehäuser mit einem Jahresheizwärmebedarf von 60 kWh/(m2a) zum neuen Standard werden. Die ganzheitliche Beurteilung von Gebäude- und Anlagenparametern wird auch als Kompensationsprinzip zwischen der Bauphysik einerseits und dem Heizungs- und Belüftungssystem andererseits bezeichnet und soll bei gleichzeitiger Verbesserung von Behaglichkeit und Komfort im Wohnbereich eine Minderung des Energieaufwandes sicherstellen.

Systemtechnik statt unvernetzte Einzelkomponenten

Hauptproblem ist, dass sich die Anlagenseite traditionell den Leistungsparametern des Heizungssystems und deren Komponenten verpflichtet fühlt, sich aber nicht als Garant versteht, für den Nutzer die thermische Behaglichkeit und den Wohnkomfort zu sichern. Die Heizungs- und Klimabranche hat die große Chance, vollumfänglich die Verantwortung für den neuen Branchenbereich Gebäude- und Energiesysteme zu übernehmen, der bei Architekten, Planern und bei Nutzern zunehmend in den Mittelpunkt rücken wird. Um es deutlich zu sagen, es geht um die Bereitstellung von behaglichem Wohnklima für alle Gebäude und Wohneinheiten, die gemäß der neuen Verordnung zu erstellen sind, und nicht um die Sicherung eines neuen Wohnstandards, der als Luxus gilt und nur für ausgewählte Objekte Anwendung finden würde.

Diese neue Kompetenz und Erweiterung des Verantwortungsbereiches erwächst aus der Tatsache, dass nach dem Kompensationsprinzip der Wärmedämmwert eines Gebäudes einmal festgelegt wird und damit statisch ist. Der Anlagensystemteil dagegen muss den wechselnden dynamischen Anforderungen des Gebäudes oder des Wohnraumes genügen, die als Behaglichkeitskriterien vom Nutzer vorgegeben oder definiert werden - natürlich unter Einhaltung des gemäß Verordnung ermittelten primärenergetischen Energiebedarfswertes.

Zunehmender Einfluss von Störgrößen

Ein weiterer Grund, warum der Heizungs- und Klimabranche die Verantwortung für Behaglichkeit, Komfort und Hygiene im Bau zugewiesen wird ist, dass mit zunehmender Dichtheit der Gebäudehülle und Absenkung des spezifischen Energiebedarfes in Gebäuden die Einflussgrößen wie Personenzahl, Anzahl von Pflanzen und Blumen, Sonneneinstrahlung usw. prozentual größer werden. Die Ausregulierung dieser sog. Störgrößen ist nur über das flexible Anlagensystem möglich. D.h., das dynamische Anforderungsprofil des Nutzers an Temperatur, Feuchtigkeit, Staubbelastung, Frischluft usw. muss vom Heizungs-, Lüftungs- und Klimasystem geleistet werden, indem es sich möglichst verzögerungslos an das geforderte Behaglichkeits- und Komfortprofil des Nutzers angleicht. Damit wird deutlich, dass nicht mehr die Leistungsdaten der Einzelkomponenten im Mittelpunkt stehen, sondern das Zusammenspiel der notwendigen Komponenten zur Sicherung der Behaglichkeit im Gebäude.

Da sich in der Regel die persönlichen Kenndaten bezüglich Behaglichkeit und Komfort auch noch von Nutzer zu Nutzer unterscheiden, wird deutlich, welch hohe dynamische Leistung von künftigen Anlagensystemen gefordert wird. Im Grundsatz bestanden diese dynamischen Anforderungen auch im Altwohnungsbau mit spezifischen Energiebedarfswerten von ca. 300 kWh/(m2a). Der Unterschied liegt nur darin, dass bei Gebäuden mit hohen Wärmebedarfen die sog. thermodynamischen Lasten oder Störgrößen durch die relativ hohen Wärme- und Lüftungsverluste prozentual wenig ins Gewicht fielen und durch eine Überdimensionierung der Heizungsanlage die Verluste sehr schnell ausgeglichen und kompensiert werden konnten. D.h., die dynamischen Anforderungen an das alte Heizungssystem waren begrenzt. Je höher jedoch ein Gebäude wärme- und lüftungstechnisch isoliert wird, desto stärker wird der Einfluss der Störgrößen und der thermischen Lasten, sodass nur noch über entsprechend ausgelegte Anlagensysteme einschließlich Kühlung und Lüftung ein Ausgleich erfolgen kann. Die Abhängigkeit der vom Anlagensystem regelbaren dynamischen Behaglichkeitsanteile vom spezifischen Wärmebedarf eines Gebäudes ist qualitativ im Bild 1 dargestellt.

Bild 1: Abhängigkeit der vom Anlagensystem zu regelnden dynamischen Behaglichkeitsanteile vom spezifischen Wärmebedarf eines Gebäudes.

Der notwendige Wandel

Die dargelegte plausible Begründung für die Ausweitung des Kompetenzbereiches vom reinen Komponentenlieferanten und Anlagenbauer zum Anbieter von Gebäude- und Energiesystemen erfolgt, um deutlich zu machen, wie dringend dieser Wandel in der Heizungs- und Klimabranche notwendig ist. Das Gebot der Stunde, für Behaglichkeit und Komfort zuständig zu sein, gilt als Chance engagiert zu nutzen. Zurückhaltung und Abwarten ist die falsche Empfehlung. Jetzt zu agieren und gemeinsam mit Architekten und Planern die neue Herausforderung zu gestalten, ist zwingend erforderlich, auch wenn der Prozess bis zur vollen Akzeptanz als Gebäude- und Energiesystemanbieter noch einige Zeit dauern wird.

Behaglichkeit und Komfort für den Nutzer eines Gebäudes sicherzustellen, kann nicht gelingen durch Einhaltung wissenschaftlicher Eckdaten, sondern nur durch die Installation eines flexiblen Anlagensystems mit der Möglichkeit, durch variable Parametersetzung den individuellen Behaglichkeitsanspruch zu erfüllen. Eine weitgehend automatisierte Parametersetzung muss Zielvorgabe sein, um den Nutzer nicht zu überfordern. Er muss Behaglichkeit erleben können, darf aber nicht mit komplizierten Einstellungen oder sensibler Fehlermeldung zum Dauerbediener des Anlagensystems werden. Steuerungs- und Regelungssystem, verbunden mit einer dem Anspruch entsprechenden robusten Sensorik und Aktorik, werden das Herz eines Anlagensystems sein. Grundsätzlich muss dieses "Herz" tauglich sein, den im Tagesgang wechselnden Ansprüchen an Temperatur, Feuchtigkeit, Staubbelastung, CO2-Konzentration usw. auch je Raum oder Referenzraum gerecht zu werden. Diese Forderungen zu erfüllen, ist bereits heute technisch machbar, jedoch aus Preisgründen nicht akzeptabel.

Techniken zur Sicherstellung der Behaglichkeit

Zur Nachfragestimulation ist es aber notwendig, auf Messen und Ausstellungen erste Anlagensystemkonzepte mit dem Anspruch der Sicherung von Behaglichkeit und Komfort vorzustellen. Um sich als Gebäude- und Energiesystemanbieter im Markt zu etablieren, muss dem Nutzer der neue Weg gezeigt werden, mit der Grundaussage: "Weg von der heiztechnischen Komponente und hin zur Behaglichkeit". Damit bietet sich auch die Chance, die Heiztechnik vom Komponentenlieferant hin zum Ausstatter für wohnliche Behaglichkeit auszurichten.

Zur Erfüllung dieser Ansprüche müssen immer stärker Heiz-/Kühlelemente eingesetzt werden, die mit regenerativer Energie versorgt werden. Die Nachfrage nach Anlagensystemen, die bis zu 100 % über erneuerbare Energien versorgt werden, wird weiterhin zunehmen. Daher sollte die Verknüpfung dieser Nachfrage mit der Sicherstellung von wohnlicher Behaglichkeit als Herausforderung und Chance verstanden werden. Möchte man Behaglichkeit im Raum steuern, so benötigt man dazu Sollvorgaben, die geeignet sind, die für das Wohlbefinden im Raum notwendigen Parameter zu steuern. Hierzu gibt es Diagramme, in denen Behaglichkeitsfelder ausgewiesen sind, aus denen die Abhängigkeit bzw. der Zusammenhang zwischen Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftqualität abzulesen ist. Bild 2 zeigt diese Abhängigkeit mit der Darstellung entsprechender Anlagensysteme, die als A, B und C gekennzeichnet sind und aus Grundkomponenten bestehen, die das Spektrum von einer fossilen Wärmebedarfsdeckung bis hin zu einer Wärmeerzeugung aus fast 100 % erneuerbarer Energie abdecken. Die spezifischen Behaglichkeitsanforderungen gemäß des gewünschten Anforderungsniveaus A, B oder C werden durch modulare Sensoren, Aktoren und Filtereinrichtungen additiv zu den Grundkomponenten erreicht.

Bild 2: Verschiedene Anlagensysteme (A, B, C) und deren Position, bezogen auf das Behaglichkeitsvolumen.

Um z.B. ein entsprechendes Behaglichkeitsklima der Qualität A zu sichern, sind entsprechende Komponenten mit dem zugehörigen Regelungssystem zu installieren. Eine solche Anlagenkonstellation zur Sicherung des ausgewiesenen Klimas A ist Bild 3 zu entnehmen. Es können alternativ die verschiedenen Wärmeerzeuger nach Wunsch des Kunden eingesetzt werden, wobei die zugehörige Sensorik in das Abluft- und Zuluftsystem integriert wird. Wichtig ist bei derartigen Anlagensystemkonstellationen, dass der regelungstechnische Teil eine einfache und zuverlässige Bedienbarkeit ermöglicht.

Technologisch ist die Sicherstellung von behaglichem Raumklima geklärt. Und es erscheint realistisch, dass eine Nachfrage nach derartiger Technologie kurzfristiger entsteht, als nach neuen Energieversorgungssystemen. Nach einer Ermittlung des Fraunhofer-Institutes sollen bis zum Jahr 2008 bereits 20 Mio. Haushalte in Europa mit diesem hohen Qualitätsniveau an Behaglichkeit ausgestattet werden. Diese hohe Zahl wird auch zunehmend mit medizinischen Aspekten begründet und aus einer deutlichen Zunahme der Allergiker hergeleitet, sodass mindestens in Einzelräumen zunehmend eine höhere Luftqualität gefordert wird.

Bild 3: Anlagentyp A: Heizsystem mit kontrollierter Wohnungslüftung, Lüftungswärmepumpe und Solarkollektoren.


B i l d e r : Buderus Heiztechnik GmbH, Wetzlar


* Dr.-Ing. Heinrich-Hermann Schulte, Geschäftsführer Buderus Heiztechnik GmbH, Wetzlar


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