IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 20/2000, Seite 72 ff.
REPORT
Die Rückseite des Konzepthauses verdeutlicht die "tragende" Rolle der Stahlkonstruktion. Als architektonisches Element wurde für die Außenverkleidung Holz verwendet. |
EXPO-Projekt
Agenda 21 Musterhäuser
Dass die EXPO nicht nur eine Weltausstellung mit kulturellen und musikalischen Events ist, verdeutlichen zahlreiche Projekte im gesamten Bundesgebiet. Ganz in der Nähe des Messegeländes wurde die Siedlung am Kronsberg errichtet. Ende Juli dieses Jahres konnte sich die IKZ-HAUSTECHNIK-Redaktion in die Welt der Agenda 21-Häuser versetzen. Farb-, Duft- und Architekturkonzepte sollen dem Bewohner eine stimulierende oder beruhigende Atmosphäre schaffen. Die Eindrücke und Hintergründe dieses aus Handwerkerhand errichteten Siedlungsbereichs vermittelte das Unternehmen Keramag, das zu einem Pressetreffen eingeladen hatte.
Die Siedlung am Kronsberg wurde nach dem EXPO-Zuschlag für Hannover 1990 geplant. Es soll ein neuer naturnaher Stadtteil entstehen, der auch in der Bauweise, Materialverwendung und Energienutzung eine ökologische Optimierung erfahren soll. Insgesamt wird dieser Siedlungsbereich 6.000 Wohneinheiten, von denen bereits 3.000 realisiert wurden, in 200 Reihenhauszeilen umfassen. Die Projekte wurden von privaten Investoren und Häuslebauern finanziert.
Nachhaltige Siedlungsentwicklung
Bei der "Agenda 21" handelt es sich um einen 40 Kapitel umfassenden Aktionsplan, der 1992 auf der ersten Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro von 176 Staaten darunter auch die Bundesrepublik Deutschland verabschiedet worden ist. Die Agenda 21 hat zum Ziel, die begrenzten natürlichen Ressourcen der Erde für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. Kapitel 7 dieses UN-Programms befasst sich mit der Förderung nachhaltiger menschlicher Siedlungsentwicklung unter sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekten.
In diesem Sinne sollen die in Hannover-Kronsberg errichteten Musterhäuser als Expo-Projekt neue Wege aufzeigen zu bedarfsgerechten Bau- und Wohnformen der Zukunft.
Zur Vorderfront sichtbare halbrunde "Türme" farblich abgestimmt, weisen den Weg zu neuen Konzepten. Im "Turminneren" befinden sich die Versorgungsschächte für die Haustechnik, Relaxbereiche, Bäder und Fitnessräume. |
Hohe Flexibilität durch Skelettbauweise
Im Mittelpunkt steht dabei eine Synthese von innovativer Architektur, Niedrigenergiebauweise, Nachhaltigkeit, kurzer Bauzeit und erschwinglichen Gesamtpreisen. Zu den konzeptionellen Vorgaben zählen darüber hinaus die Verwendung naturnaher, recycelbarer Materialien, kooperative Bauweise und variable Gestaltung. Trotz der weitgehenden Standardisierung sind individuelle Grundrisse möglich.
Der Rohbau
Das Agenda 21-Haus ist als Modulbausystem für eine variable Serienfertigung konzipiert. Ausgangspunkt für die Skelettbauweise ist die Idee einer Rahmenzelle, die durch Aneinanderreihen und Aufeinanderstapeln eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Mit geringen Stahlmengen können die hohen Lasten von Dach und Fußböden abgefangen werden, ohne dass es tragender Wände oder aufwendiger Wandkonstruktionen bedarf.
In den Bädern des Gästehauses "Afrika" kommt wie hier in der Ecklösung Mineralguss-Werkstoff zum Einsatz. Interessante Ergänzung auch im Türbereich durch Verwendung des nachwachsenden Rohstoffs Bambus. |
Schotten aus Kalksandstein in Verbindung mit rundgemauerten Türmen, in die später u.a. Installationsschächte und Bäder untergebracht sind, ergeben eine unverwechselbare, architektonische Einheit. Gegen den anonymen Einheitslook stehen natürliche Hausbegrünung, farbliche Gestaltung der Fassaden, Balkone sowie Holzelemente, mal quer, mal schräg geschnitten. Und als I-Tüpfelchen unterstreicht und schützt ein Handstrichziegel den regionaltypischen Charakter der Häuser in Niedersachsen.
Der Kalksandstein wird zwischen den einzelnen Reihenhäusern als Schallschutz und idealer Wärme- und Klimaspeicher genutzt. Als Sichtmauerwerk gibt der weiße Stein dem Raum ein interessantes innenarchitektonisches Gepräge. Das Glas gibt den Räumen Transparenz und öffnet sie der Sonnenenergie. Der Baustoff Holz eignet sich perfekt für das nachhaltige Bauen im Agenda 21-Haus, denn die Ökobilanz für diesen Baustoff ist vorbildlich. Hinzu kommt, dass Holz als CO2 -Speicher ein nachwachsender Rohstoff ist. Was der Zimmermann in seinem Betrieb vorgefertigt hat, wird zügig auf der Baustelle montiert. Dies spart Zeit und Kosten. Die Decken/ Fußbodenelemente sind entsprechend verarbeitet und können ohne Aufwand mit dem Endaufbau für die Decke und den Fußboden versehen werden.
Der Vollwärmeschutz wird durch einen nach bauphysikalischer Berechnung ermittelten Dämmstoffaufbau, der sich im Holzwandelement befindet, sichergestellt. Der nachwachsende Rohstoff Hanf spielt im Agenda 21-Haus eine große Rolle. Eingepackt wurde das gesamte Haus in einen Hanfmantel von 20 cm Stärke und erreicht damit mehr als nur Niedrigenergiestandard.
Ein helles, freundliches Ambiente im Bad des "Weiden" Hauses. Auch die verwendete Keramik und Badausstattung ermöglicht neben dem Raumkonzept eine angenehme Atmosphäre und bietet gute Funktionalität. |
Das Dach
Ein trockenes Flussbett auf dem Dach? Ja, im Agenda 21-Haus Realität. Es erinnert an den Bachlauf, der früher auf dem Baugrundstück verlief. Das Gründach gibt dem Haus nicht nur ein besonderes Aussehen, sondern schafft ein optimales Klima.
Federführend ist die Deutsche Gesellschaft für Handwerk und Kooperation (DGHK). Klaus Dähne als verantwortlicher Architekt fasst seine Vorstellungen und Erfahrungen so zusammen: "Die Architektur der Agenda 21-Häuser ist kein Selbstzweck: Sie arbeitet mit Baustoffen und Materialien mit langer Lebensdauer, die warm und harmonisch sind. Es sind Häuser, die Ressourcen sinnvoll einsetzen und ihren Sinn finden als Zuhause für Menschen. Daneben entsteht ein Stück wertvolle Handwerkstradition, bei der der Anspruch an Qualität und Verarbeitung immer an erster Stelle steht."
Das Agenda 21-Haus "Leben ohne Barrieren" trägt den Bedürfnissen alter und behinderter Menschen Rechnung. |
Zielgruppengerechte Konzepte
Drei Musterlösungen sind im neuen Stadtteil Hannover-Kronsberg, in dem mittelfristig 6.000 Wohnungen für 15.000 Menschen entstehen sollen, realisiert worden. Das Konzept "Ökologisches Junges Wohnen" wendet sich an die Zielgruppe der jungen Familien mit zwei Kindern, die Wert legen auf Kostentransparenz und flexible Gestaltung. Zwei aktuelle Mega-Trends kombiniert das Wellness-Multimedia-Haus "Leben und Erleben", das mit einem Fitness-Bad und der Installation moderner Kommunikationstechnik neue Nutzungsmöglichkeiten aufzeigt. Das dritte Musterhaus ist dem Thema "Leben ohne Barrieren" gewidmet und erleichtert die möglichst eigenständige Bewältigung des Wohnalltags von älteren und behinderten Menschen. Ergänzt wird das Agenda 21-Projekt durch drei Gästehäuser, die unter den Bezeichnungen "Afrikahaus", "Weidenhaus" und "Designreich" themenspezifisch Wohn- und Erlebniswelten umsetzen das "Designhotel".
Planungsskizze des Obergeschosses im Musterhaus "Junges ökologisches Wohnen". |
Konsequente Energie- und Wassereinsparung
Allen sechs Reihenhäusern gemein ist die konsequente ökologische, gleichwohl aber auch technisch fortschrittliche und bewohnerfreundliche Ausrichtung. Durch den Einsatz von Wärmeschutzfenstern, effektiver Wärmedämmung und moderner Haustechnik wie Solarkollektoren wird die Norm für Energiesparhäuser erfüllt. Das Sanitärkonzept umfasst ein naturnahes Regenwasser-Rückführungssystem und ausgeklügelte Trinkwasser-Sparmaßnahmen. Darüber hinaus wurden ausnahmslos Badausstattungen installiert, die nicht nur in puncto Funktionalität und Komfort überzeugen wollen, sondern auch im Hinblick auf die jeweilige Designkompatibilität zu den einzelnen Haus-Typen. Badquerschnitte, die anregen wollen und zukunftsweisende Ideen umsetzen. Aber auch Badkonzepte die durch ihre Besonderheit kontrovers diskutiert wurden.
Offen integrierter Badbereich im Obergeschoss des "Weiden" Gästehauses. |
Barrierefrei und komfortabel
Anstöße hinsichtlich der bewohnergerechten Umsetzung im Sanitärbereich setzt auch das barrierefreie Haus. Das Gäste-WC im Erdgeschoss weist ein wandhängendes Tiefspül-WC mit rollstuhlgerechter Ausladung und einen unterfahrbaren Waschtisch auf. Das Elternbad wurde ebenfalls alten- und behindertengerecht ausgerüstet. Höhenverstellbare Module erleichtern Menschen mit eingeschränktem Bewegungsfreiraum die Benutzung. Die sanitäre Projektleitung für dieses Musterhaus lag bei dem Initiativkreis Vitales Bad, dem neben Keramag die Markenhersteller Hansa, Hewi, Mepa und ComFort-Systemverbund und bundesweit über 300 zertifizierte Sanitär-Fachhandwerksbetriebe angehören.
Die innenarchitektonische Gesamtverantwortung für die sechs Agenda 21-Musterhäuser lag bei QuerFormArt in Rosendahl-Holtwick. Insgesamt waren an diesem Projekt über 200 Sponsoren, Industrieunternehmen und Fachbetriebe beteiligt.
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