IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 18/2000, Seite 56 ff.


HEIZUNGSTECHNIK


Heizpausen - und was man über sie wissen sollte

Dipl.-Ing. Gerd Böhm*

Heizpausen sparen Heizkosten, so ahnt man, ohne in der Regel genaueres darüber zu wissen. Sicher kann man aber sein, dass jede Heizpause ein Wärmedefizit hinterlässt und die Grenze, an der dieses Wärmedefizit als Komfortdefizit empfunden wird, ist schnell überschritten.

Insbesondere im Mietwohnungsbau, wo die nächtliche Heizpause als unbeeinflussbares, quasi höheres Ereignis auf alle Bewohner gleichermaßen hereinbricht, kann der aus solchen Defiziten folgende Ärger erhebliche Ausmaße, bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, annehmen.

Interessant ist, wie das Amtsgericht Hamburg in einem solchen Fall urteilte, denn es formulierte konkrete, für die heiztechnische Planung maßgebliche Anforderungen:

Die Anforderungen lesen sich wie eine schulmäßige Aufgabenstellung. Und mit einfachen "schulmäßigen" Mitteln lässt sich auch eine zumindest abschätzende Aussage zu den heiztechnischen Konsequenzen machen.

Zuerst ist zu bemerken, dass mit der Bezeichnung "Raumtemperatur" im allgemeinen Sprachgebrauch wohl stets die leicht messbare Lufttemperatur gemeint ist. Für den Behaglichkeitszustand maßgeblich ist jedoch der Mittelwert aus Luft- und Oberflächentemperaturen - auch als "empfundene Temperatur" bezeichnet. Der vollständige Ausgleich des nach einer Heizpause eingetretenen thermischen Defizits umfasst somit die Raumluft wie auch die mit den Oberflächen verbundenen Stoffmassen. Die dazu erforderliche Heizleistung ist natürlich größer, als wenn es allein um das Wiederherstellen der Lufttemperatur geht. Es handelt sich somit um zwei grundverschiedene Anforderungen.

Obwohl sich die "Hamburger Temperaturvorgaben" wegen der allgemein sprachlichen Formulierung sicherlich nur auf die Raumluft beziehen, ist es gut, eine Vorstellung von den heiztechnischen Anforderungen bei vollständigem thermischen Ausgleich zu haben.

Bild 1: Analogmodell für den vollständigen thermischen Ausgleich einer Heizpause.

Vollständiger thermischer Ausgleich einer Heizpause

Untersuchungen mit wissenschaftlichem Anspruch erfordern wegen der außerordentlich komplexen Abläufe einen hohen Rechen- oder Simulationsaufwand. Im Rahmen der diesem Beitrag zugrunde gelegten "schulmäßigen" Betrachtung, hilft die Übertragung der Problemstellung auf ein Analogmodell. So ähnelt das thermische Gebäudeverhalten recht gut dem "mechanischen" Verhalten eines gefüllten Wasserbehälters mit Bodenabfluss (Bild 1). In dieser Analogie wird die im Behälter befindliche Wassermenge der im temperierten Gebäude gespeicherten Wärmemenge gleichgesetzt. Zu- und Abfluss entsprechen der zugeführten Heizleistung bzw. dem Verlustwärmestrom des Gebäudes. Dass, und wie viel Wasser im Analogmodell abfließt, ist Folge des statischen Drucks, abhängig vom Pegelstand. Beim Gebäude wird der Wärmeabfluss von der Temperaturdifferenz zur Umgebung bewirkt. Bild 1 zeigt für das Analogmodell drei Zustände.

Zustand 1

Zu- und Abfluss sind gleich. Der Behälter ist gefüllt, der Pegel konstant. Die Situation entspricht analog einem kontinuierlich beheizten Gebäude: Die zugeführte Heizleistung deckt den Wärmeabfluss, das Gebäude ist mit konstanter Temperaturdifferenz zur Umgebung durchtemperiert.

Zustand 2

Der Zufluss ist unterbrochen. Mit abnehmendem Pegel fällt auch der statische Druck und die Abflussrate wird kleiner. Bezogen auf das Gebäude: Die Beheizung ist unterbrochen; das Gebäude verliert gespeicherte Wärme und kühlt aus. Mit abnehmender Temperaturdifferenz zur Umgebung wird der Verlustwärmestrom kleiner.

Zustand 3

Wiederherstellen des alten Pegels. Bei gleicher Zuflussrate würde dies unendlich lange dauern. Entsprechend der vorgegebenen Zeit ist die Zuflussrate höher als bei Zustand 1. Bezogen auf das Gebäude: Wiederherstellen des thermischen Ausgangszustands. Die zugeführte Heizleistung muss je nach Zeitvorgabe größer sein als bei kontinuierlichem Durchheizen.

Aus dem Modell lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: Heizpausen sparen Energie. Im Analogmodell stehen 17 + 34 = 51 l gegen 60 l. Die Ersparnis ist Folge des während der Pause geringeren Pegels - aufs Gebäude übertragen, der geringeren Temperaturdifferenz innen/außen. Die Höhe der Energieersparnis hängt bei gleichbleibender Pausendauer davon ab, wie rasch der Pegel sinkt, d.h. vom Verhältnis Abflussrate zu gespeicherter Kapazität. Gebäude-Leichtbauweisen lassen somit mehr Ersparnis durch Heizpausen erwarten als Schwerbauweisen.

Bild 2: Aufheizverläufe entsprechend dem Beispiel "Zehn-Familienhaus".
a) Heizleistung 32 kW
b) Heizleistung 48 kW

Um das Kapazitätsdefizit der Heizpause auszugleichen ist Mehrleistung erforderlich. Wie viel wird von der zur Verfügung stehenden Aufheizzeit bestimmt.

Aus dem Analogmodell ist folgende Beziehung herzuleiten.

= erforderliche Wiederaufheizleistung

= mittl. Verlustleistung während der Heizpause

= Dauer der Heizpause

= Dauer bis zum Ausgleich des Wärmedefizits

Danach erfordert eine Heizpause mit nachfolgender ebenso langer Wieder-Aufheizzeit das Zweifache der gerade aktuellen Heizleistung. Diese Leistung ist vom Wärmeerzeuger bereitzustellen, vom Verteilsystem zu transportieren und von den Übertragungsflächen an den Raum abzugeben.

Glücklicherweise ist mit dem Hamburger Urteil nicht der vollständige thermische Ausgleich gefordert, sondern nur der der Lufttemperatur, denn mit = 6 Stunden und = 1 Stunde würde sich der Faktor = 7 ergeben.

Bild 3: Verlauf der empfundenen Temperatur eines Beispielraumes für drei verschiedene Dämmstandards.

Wiederherstellen der Raumlufttemperatur

Es wird von folgender Situation ausgegangen: Nach einer längeren Heizpause ist die Raumlufttemperatur zusammen mit den Umfassungsflächen auf 17°C abgesunken. Die von den Heizflächen wieder eingebrachte Heizleistung erwärmt zunächst die Raumluft, diese wiederum die noch kalten Oberflächen und deren Stoffmassen - was dem weiteren Anstieg der Lufttemperatur entgegenwirkt.

Die Energiebilanz setzt sich somit aus drei Teilvorgängen zusammen:

(1) Der Heizkörper gibt mit der Leistung über die Zeitdauer die Wärmemenge · ab.

(2) Das Raumluftvolumen VL mit der spez. Wärmekapazität cL nimmt diese Wärmemenge auf. Als Folge erhöht sich die Lufttemperatur um den Betrag .

(3) Bewirkt durch die Temperaturdifferenz gibt die Raumluft ihrerseits Wärme an die Umfassungsflächen ab. Weiteren Einfluss hat die Wärmeübergangszahl (die auch den Strahlungsanteil berücksichtigt) und die Umfassungsfläche A.

Über den Zeitraum betrachtet ergibt sich somit die Gesamtbilanz aus (1) (2) (3).

 

Wegen des hier interessierenden relativ kurzen Betrachtungszeitraum kann die Erwärmung der Wand selbst vernachlässigt werden.

Aus der Energiebilanz ergibt sich für die Heizleistung

Unter Ansatz der "Hamburger Vorgaben" nun das Beispiel eines Zehn-Familienhauses.

Gebäudedaten:

Gesamt-Raumluftvolumen VL = 2200 m3

Gesamt-Umfassungsfläche A = 900 m2

Normheizleistung = 32 kW

spez. Wärmekapazität der Raumluft cL = 0,33 Wh/(m3 · K)

Wärmeübergangszahl Luft/Wand = 8 W/(m2 · K)

"Hamburger Vorgaben":

Temperaturerhöhung von 17°C auf 20°C ( = 3 K) innerhalb = 1 Stunde

bzw. 23,8 kW.

Das Ergebnis mag überraschen, denn die zur Erfüllung der Vorgaben errechnete Aufheizleistung ist erheblich kleiner als die Normheizleistung von 32 kW. Da der Heizkessel und das Gesamtsystem ja zumindest auf diese 32 kW ausgelegt sein müssen, sollte es theoretisch eigentlich gar keine Probleme geben.

Mehr Einsicht bietet Bild 2 a. Der Raumluft-Temperaturgang dieses Bildes folgt aus Gleichung (2) mit

ist gleich der Normheizleistung mit 32 kW gesetzt. Zusätzlich eingetragen ist die schon erwähnte "empfundene Temperatur" als Mittelwert der Luft- und Hüllflächentemperatur. Um 20°C zu empfinden, ist bei 19°C der Oberflächen die Raumluft auf 21°C zu bringen - das wäre der thermisch ausgeglichene Zustand.

Zu Bild 2 a im Einzelnen: 20°C Lufttemperatur sind schon nach 15 Minuten erreicht und innerhalb 1 Stunde klar überschritten. Die empfundene Temperatur bleibt jedoch wegen der nur träge nachfolgenden Oberflächen über Stunden im defizitären Bereich, bzw. kann bei Gleichstand von Aufheizleistung und aktueller Heizlast überhaupt nicht den Sollwert erreichen. Die nächste Heizpause verstärkt somit den thermischen Mangel um ein Weiteres - und sofort.

Bezieht man die "Hamburger Vorgaben" nicht auf die Raumluft, sondern auf 20°C empfundene Temperatur, so ist

DJ

mit 6 K anzusetzen statt 3 K (23°C Luft - 17°C der Umfassungsflächen). Die Aufheizleistung ergibt sich dann mit 2 · 23,8 kW = 48 kW, das wäre das 48/32 =1,5-fache der Normheizleistung.

Bild 2 b zeigt den Temperaturgang mit dieser für das Temperaturempfinden nun wirklich ausreichenden Aufheizleistung. Trotzdem muss bewusst bleiben, dass der vollständige thermische Ausgleich mehrere Stunden erfordert. Mit Hilfe der Gleichung (1) lassen sich für das Beispiel

abschätzen.

In dieser Zeit muss sich die Lufttemperatur jedoch frei entwickeln können - d.h. es darf keine regeltechnische Eingrenzung über Thermostatventile oder Raumfühler auf die Solltemperatur (21°C) erfolgen - die Bilder 2 a und 2 b lassen das klar erkennen. Das Aufheizen der kalten Wände erfolgt eben über die Luft (zum größten Teil) und nicht über die Heizkörper.

Bild 3 zeigt zum Vergleich und als qualitative Bestätigung eine komplexe Rechnersimulation bei ähnlichen Grundannahmen.

Fazit

Es ist zwischen dem Ausgleich der Lufttemperatur, der empfundenen Temperatur, und dem thermischen Soll-Beharrungszustand zu unterscheiden.


Wohnzimmer 30 m2

Luftvolumen 84 m3

Hüllfläche 122 m2

100 Watt-Lampe 5 Stunden eingeschaltet


Nach einer Heizpause kommt es nicht auf den schnellen Ausgleich der Lufttemperatur an - das ist kaum ein Problem - sondern zunächst auf das Wiederherstellen der empfundenen Temperatur. Dazu ist etwa die 1,5 bis 2-fache aktuelle Heizleistung erforderlich (größerer Wert bei kleinen Gebäuden wegen des ungünstigeren A/V-Verhältnissen).

Sind Heizpausen uneingeschränkt über die gesamte Heizperiode vorgesehen, ist die Gesamtanlage - Wärmeerzeuger, Verteilsystem, Heizflächen - mit diesem Faktor zur üblichen Normauslegung zu dimensionieren. Die andere Möglichkeit wäre der generelle Verzicht auf Heizpausen unterhalb + 5°C. Die aktuelle Heizlast beliefe sich dann auf etwa die Hälfte des Normbedarfs.

Nach einer Heizpause kann der vollständige thermische Ausgleich mehrere Stunden dauern. In dieser Zeit darf die Raumlufttemperatur nicht auf den Beharrungssollwert begrenzt werden. Ist das der Fall, wird kein Ausgleich erreicht und das thermische Defizit vergrößert sich durch weitere Heizpausen immer mehr. Die nächste Heizpause sollte deshalb nicht vor Erreichen des vollen thermischen Ausgleichs erfolgen.

Es liegt auf der Hand, dass all dies auch eine entsprechende Aufklärung und Mitwirkung des Nutzers erfordert.

Mit Gleichung (3) lässt sich übrigens recht schön die gerne in Verbindung mit "Niedrigstenergiehäusern" eingebrachte Vorstellung, dass schon das Einschalten der 100 Watt-Beleuchtung eine regelungstechnische Herausforderung bedeutet, auf Stichhaltigkeit prüfen:

Ebenso wie bei der vorherigen Rechnung ist das Ergebnis unabhängig davon, ob es sich dabei um einen Altbau oder ein Passivhaus handelt. Die Qualität der Wärmedämmung (k-Zahl) erscheint bei dynamischen Vorgängen nicht als bestimmende physikalische Größe.

Das Einschalten einer Lampe führt also in keinem Fall zu regelungstechnischen Schwierigkeiten - und auch kaum zum Ausgleich eines thermischen Defizits. Die Regelungsleute dürften mit der Heizpause ein weitaus größeres Problem zu meistern haben.


*) Dipl.-Ing. Gerd Böhm, Technische Öffentlichkeitsarbeit, Buderus Heiztechnik GmbH, Wetzlar


Quelle: "Vom Wärmeschutz zur Energieeinsparung - Grundsatzuntersuchung NOWA zur ESV 2000"; Technische Universität Dresden, Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Richter, Universität Stuttgart, Prof. Dr.-Ing. Heinz Bach.


Bilder 1 und 2: Gerd Böhm, Buderus Heiztechnik GmbH, Wetzlar


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