IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 17/2000, Seite 104 ff.


RECHT-ECK


DIN-Normen und Stand der Technik

Das Verhältnis der Normen zu den anerkannten Regeln der Technik

RA Friedrich-W. Stohlmann

Die an einem Normungsthema interessierten Fachkreise erarbeiten in den sog. Normungsgremien auf dem Wege der Konsensfindung die DIN-Normen, die sie als Ordnungselement in unserer technisierten Umwelt für notwendig und hilfreich erachten. Die auf diesem demokratischen Weg zustande gekommenen Normen sind Bestandteil unserer Wirtschafts-, Sozial- und Rechtsordnung. Sie fördern die Rationalisierung und Qualitätssicherung. Das Normenwerk beschreibt den Stand der Technik und ist eine für jedermann zugängliche Informationsquelle. Es ist im Besonderen im Hinblick auf die europäische und weltweite Normung ein wichtiges Hilfsmittel für den globalen Handel und den Technologietransfer und somit insbesondere für Deutschland als hochentwickeltes und stark exportorientiertes Industrieland von besonderer Bedeutung. Viele Normen dagegen erfüllen reine Schutzfunktionen wie Arbeitsschutz, Umweltschutz und Verbraucherschutz oder dienen dem Gesetzgeber zur Umsetzung der in den Gesetzen enthaltenen Festlegungen.

Normung ist kein Selbstzweck und das Deutsche Institut für Normung (DIN) ist bemüht, das Normenwerk auf das notwendige Maß zu begrenzen, um die durch Überregulierung entstehenden negativen Auswirkungen auf das Wirtschaftsgeschehen zu vermeiden.

Der Grundgedanke bei der Erarbeitung von Normen ist daher die Konsensfindung in den Normungsgremien des DIN. Jedermann ist berechtigt, beim DIN die Aufnahme einer Normungsarbeit zu beantragen. Interessierte Fachkreise (z.B. Anwender, Behörden, Fach- und Hochschulen, Industrie, Handel, Handwerk, Prüfinstitute usw.) entsenden ihre autorisierten Fachleute in die DIN-Arbeitsausschüsse, damit von Beginn an alle Aspekte Berücksichtigung finden.

Das erste Ergebnis einer Normungsarbeit ist ein Normentwurf, der der breiten Fachöffentlichkeit mit einer 4-monatigen Einspruchsfrist zur Kenntnis gegeben wird. Die Einsprecher erhalten im weiteren Ablauf Gelegenheit, ihre Verbesserungsvorschläge im Fachgremium selbst vorzutragen und zu begründen. Zusätzlich ist die Einleitung von Schlichtungs- und Schiedsverfahren bei Ablehnung eines Einspruchs möglich.

Zur Sache

In den Bereichen der Sanitär- und Heizungstechnik ebenso wie in der Klempnerei gibt es vielfache DIN-Normen, die in den entsprechenden Fachgremien erarbeitet worden sind. Wie aber stehen diese DIN-Normen zu den anerkannten Regeln der Technik? Bei den anerkannten Regeln der Technik handelt es sich um diejenigen Regeln, die sich als richtig durchgesetzt und in der Baupraxis bewährt haben. So besteht auch eine Vermutung, dass kodifizierte Regelwerke wie DIN-Normen den allgemein anerkannten Stand der Technik wiedergeben. Diese Vermutung ist jedoch widerlegbar und wird in vielen Fällen auch widerlegt. Dazu gehören vor allem diejenigen Fälle, in denen die DIN-Normen längere Zeit nicht überarbeitet worden sind. Diese älteren Regelungen sind häufig überholt und entsprechen nicht mehr der bewährten Baupraxis.

Anerkannte Regel der Technik

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat zu der Bedeutung der DIN-Normen folgendes klargestellt:

DIN-Normen sind nicht zwingend anerkannte Regeln der Technik. Sie werden durch das Deutsche Institut für Normung aufgestellt. Das ist ein eingetragener Verein, der es sich zur satzungsmäßigen Aufgabe gemacht hat, auf ausschließlich gemeinnütziger Basis durch Gemeinschaftsarbeit der interessierten Kreise zum Nutzen der Allgemeinheit Normen zur Rationalität, Qualitätssicherung, Sicherheit und Verständigung aufzustellen und zu veröffentlichen. Als anerkannte Regeln der Technik lassen sich diejenigen Prinzipien und Lösungen bezeichnen, die in der Praxis erprobt und bewährt sind und sich bei der Mehrheit der Praktiker durchgesetzt haben. DIN-Normen sind nur dann anerkannte Regeln der Technik, wenn sie diesem Prüfungsmaßstab entsprechen.

Der Begriff der "anerkannten Regeln der Technik" ist aber nicht nur im Bauwesen von Bedeutung. Vielmehr nehmen auch Gesetze auf ihn Bezug. So enthält § 18 b Wasserhaushaltsgesetz (WHG) z.B. die Regelung, dass für Errichtung und Betrieb von Abwasseranlagen die allgemein anerkannten Regeln der Technik gelten. So hat z.B. das Oberverwaltungsgericht Lüneburg abweichend von der Regelung der DIN 4261 entschieden, dass Sickerschächte bei Kleinkläranlagen nicht mehr den anerkannten Regeln der Technik entsprechen.

Der unterlegene Betreiber der Kläranlage machte mit der Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht geltend, die DIN 4261 sei als anerkannte Regel der Technik anzusehen. Das Bundesverwaltungsgericht stellte klar, in welchem Verhältnis eine DIN-Norm zu einer anerkannten Regel der Technik steht und gab dem OVG Lüneburg Recht, dass die DIN 4261 nicht als anerkannte Regel der Technik anzusehen sei.

Fallbeispiele

Das OLG Bamberg hatte sich im Jahre 1996 mit der Frage einer Bitumendickbeschichtung (Sulfiton) zu befassen. Das OLG kommt zu der Auffassung, dass eine Bitumendickbeschichtung bei bindigen Böden nicht der einschlägigen Abdichtungsnorm DIN 18195 und damit nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht.

Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung des OLG Bamberg zugrunde:

Die Vertikalabdichtung einer Kellerwand wurde von einem Bauträger mit einer Sulfiton-Bitumendickbeschichtung geplant und auch so ausgeführt. Es kam zu Feuchtigkeitsschäden im Keller. Das Gericht kam - gestützt auf ein Gutachten - zu dem Ergebnis, dass hier eine mangelhafte Planung vorliege, weil als Baugrund ein bindiger und nicht lediglich ein sandiger, kiesiger Boden anstand. Zudem liege auch ein Objektüberwachungsfehler vor, sodass die Abdichtung nicht entsprechend den Herstellervorgaben und dem Prüfzeugnis aufgebracht worden war.

Es sei darauf hingewiesen, dass die zitierte Entscheidung des OLG Bamberg eine in Baufachkreisen zuletzt lebhaft diskutierte Frage im Zusammenhang mit der Novellierung der DIN 18195 betrifft, die als eine bautechnische Zentralnorm der Bauwerksabdichtung Regelungen treffen will. Letztendlich kann es daher auch in Prozessen zu einer Anhörung eines oder mehrerer Sachverständiger kommen, soweit die entscheidende Frage ansteht, ob die vom Unternehmer erbrachte Leistung den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Wie oben bereits dargelegt, kann eine Norm als sog. nachhinkende Norm angesehen werden, sodass die darüber stehende anerkannte Regel der Technik gilt und ein "normgerechtes Werk" aus diesem Grunde als mangelhaft anzusehen ist. Andererseits kann auch eine sog. vorweggaloppierende Norm bereits im Weißdruck bestehen, die aber von den anerkannten Kreisen noch nicht als praxisbewährt angesehen wird.

Das Landgericht Hamburg hatte sich in einem Berufungsverfahren mit Nachbesserungskosten zur Schallisolierung eines von der Beklagten eingebauten Rollgittertores zu befassen und dem Kläger die Nachbesserungskosten in Höhe von 1908,68 DM sowie die Gutachterkosten zur Mangelfeststellung in Höhe von 720,- DM zugesprochen. Das Gericht kam zu der Auffassung, dass die von der Beklagten (Unternehmerin) erbrachte Leistung mangelhaft war und dass die Gebrauchsfähigkeit des von der Unternehmerin erstellten Stahl-Garagen-Rollgittertores erheblich beeinträchtigt sei. Die Beklagte habe eine Werkleistung mittlerer Art und Güte geschuldet. Der Maßstab der sich daraus ergebenden Anforderung an das von der Beklagten zu erbringende Werk sei daher der DIN 4109 zu entnehmen. Denn in dieser Norm seien die allgemein anerkannten Regeln der Technik zu den Mindestanforderungen an den Schallschutz bei dem Einbau von Garagentoren in Wohnanlagen niedergelegt. Die Unternehmerin sei auch zu ihrer Einhaltung gemäß § 4 Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 VOB/B verpflichtet gewesen. Es handele sich nämlich um Pflichten, die durch ihre Aufzählung in Teil B der VOB ausdrücklich zum Vertragsinhalt und damit zur Leistungspflicht des Auftragnehmers erklärt worden seien. Das Landgericht hat insofern in seiner Begründung zutreffend folgendes ausgeführt:

Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Amtsgericht erkannt, dass der Leistungsbeschreibung nach § 9 VOB/A die Aufgabe zukommt, die gewünschte Leistung eindeutig und erschöpfend zu beschreiben. Jedoch bestimmt § 9 Nr. 8 VOB/A ausdrücklich, dass Leistungen, die nach den Vertragsbedingungen, den technischen Vorschriften oder der gewerblichen Verkehrssitte zu der geforderten Leistung gehören, nicht besonders aufgeführt zu werden brauchen. Zu diesen anderen Verdingungsunterlagen, die außerhalb und zugleich neben der Leistungsbeschreibung bestehen, also dort nicht mehr zu wiederholen sind, gehören aber insbesondere auch die Technischen Vertragsbedingungen. Davon umschlossen sind die allgemein anerkannten Regeln der Technik auf ihrem neuesten Stand, denn diese sind vorrangig gegenüber den Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen und den Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen einzuhalten. Dementsprechend ist nicht gefordert, dass die sich aus den allgemein anerkannten Regeln der Bautechnik ergebenden Anforderungen an die Werkleistung in das Leistungsverzeichnis besonders aufgenommen werden müssen.

Dies gilt vielmehr nur in dem umgekehrten Fall, wenn die grundsätzlich nachrangigen Technischen und Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen eine Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik begründen und es deshalb zur Schaffung der gebotenen Klarheit für den Bewerber notwendig ist, sie in der Leistungsbeschreibung aufzuführen. Dies war vorliegend aber gerade nicht der Fall.

Kommentar

Der SHK-Betrieb sollte sich nicht blind auf die entsprechende Normung verlassen, sondern vielmehr - insbesondere bei Fragen des Schallschutzes - ein offenes Ohr für die Weiterentwicklung im technischen Bereich haben, um nicht gegen anerkannte Regeln der Technik zu verstoßen. Zwar hat schon der Bundesgerichtshof erkannt, dass der Unternehmer bei Einhaltung der Norm "auf den ersten Blick" auch nach den anerkannten Regeln der Bautechnik gearbeitet hat. Behauptet aber der Auftraggeber, mit der Einhaltung der Norm sei eine Verletzung der anerkannten Regeln der Technik einhergegangen und die Leistung sei deshalb mangelhaft - was er zu beweisen hat - so muss sich der Unternehmer rechtfertigen und unter Beweis stellen, dass die Norm der anerkannten Regel der Technik entspricht. Es bedarf daher bei der Umsetzung der planerischen Leistung in das Bauwerk schon eines kritischen Ansatzpunktes, um nicht in diese rechtlich bedeutsame Falle zu tappen. Der Unternehmer ist daher gut beraten, wenn er sich über entsprechende Seminare, Fachzeitungen, Hinweise der Hersteller etc. stets auf dem Laufenden hält und so zu beurteilen vermag, was als anerkannte Regel der Technik angesehen wird.


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