IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 11/2000, Seite 24 f.


VERBÄNDE AKTUELL 


Nordrhein-Westfalen


Kammern der Zukunft oder Zukunft ohne Kammern

Die Frage nach der "Zukunft für die Kammern" stellte sich im Rahmen eines Symposiums auf Einladung der Handwerkskammer Düsseldorf anlässlich ihres 100-jährigen Jubiläums am 23. März dieses Jahres. Neben dem Präsidenten der Handwerkskammer Düsseldorf Hans Heinz Hauser nahmen auch NRW-Innenminister Dr. Fritz Behrens, ZDH-Präsident Dieter Philipp, DIHT (Deutscher Industrie- und Handelstag) Präsident Hans-Peter Stihl, CDU-Landtagsfraktionschef Laurenz Meyer, IG-Metall-Landesvorsitzender Harald Schartau und die Juristen Prof. Rolf Stober und Prof. Christian Smekal an der Feier teil.

Hauser forderte 300 Gäste aus Politik und Wirtschaft, Berufskollegen und insbesondere jüngere Handwerker auf, sich für die Situation ihres Berufsstandes wieder stärker zu interessieren und zu engagieren, mahnte aber auch "insgesamt entlastende" Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Betriebe an: "Nur wer nicht ständig um seinen beruflichen Fortbestand ringen muss, kann zusätzliche Verantwortung übernehmen.

Wirtschaftliche Selbstverwaltung eine Jahrhundertidee

Hauser bezeichnete die wirtschaftliche Selbstverwaltung im Handwerk als eines der bedeutendsten Strukturelemente der sozialen Marktwirtschaft. Die besondere Form des Interessenausgleichs von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbelangen im Handwerk, die Klammer- und Ergänzungsfunktion der Handwerkskammern für kleine und mittelständische Betriebe seien "konstitutiv" für die stabilisierende Rolle des Faktors Handwerk und damit für sozialen Frieden und die wirtschaftlichen Erfolge im Nachkriegsdeutschland, sagte der Handwerkssprecher aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Handwerkskammer für den Regierungsbezirk Düsseldorf.

Die "insgesamt vorbildliche Rolle des Handwerks an Rhein und Ruhr bei der Bewältigung des Strukturwandels in dieser überwiegend industriegeprägten Region - das Handwerk im Regierungsbezirk Düsseldorf konnte Beschäftigung und Unternehmensbestand in den 80er- und 90er-Jahren sogar leicht steigern - seien ohne die drastische Erweiterung des Qualifizierungsangebots und den Technologietransfer einer Handwerkskammer nicht denkbar gewesen. Als wichtigste Herausforderung der Kammern in Zukunft bezeichnete Hauser die Globalisierung, die informationstechnische Revolution sowie die Verbesserung der Bildungsqualität an den Schulen.

Von der Behörde zur Dienstleistungskammer

Im Jahre 1897 beschloss der Reichstag, die Gewerbeordnung in etlichen Punkten zu novellieren. Ohne Regelung der gewerblichen Ausbildung sei die Stellung Deutschlands in der Weltwirtschaft gefährdet. Zudem wollte man sich, potenzielle Auseinandersetzung mit der Arbeiterklasse vor Augen, der Handwerkerschaft - wesentlicher Teil des "alten Mittelstandes" - versichern. Beide Zielsetzungen erforderten die Kooperation mit den Handwerkern bzw. deren nachhaltiges Engagement. So lautete eine der wichtigsten neuen Bestimmungen: "Zur Vertretung der Interessen des Handwerks ihres Bezirkes sind Handwerkskammern zu errichten".

Dass ihre Geschichte eine Erfolgsgeschichte werden würde, ließ sich damals bestenfalls hoffen, selbstverständlich war es nicht. Da war zum einen die Fülle der Aufgaben, die der Staat an die Kammern delegiert hatte bzw. denen sie sich aus freiem Antrieb annahm. So mussten Prüfungsausschüsse eingerichtet, Sachverständige bestellt, Messen organisiert sowie allgemeine Regularien im Ausbildungsbereich eingeführt und kontrolliert werden. Fortbildungs- und Fachschulen waren ins Leben zu rufen, Lehrkurse über Buchführung, Kreditwesen und das Kranken-, Unfall- und Invalidengesetz durchzuführen und anderes mehr.

Mit den Nationalsozialisten kam auch für die Handwerkskammer Düsseldorf die Gleichschaltung.

Schon kurz nach Kriegsende, im Juli 1945, wurde die Handwerkskammer neu gegründet. Der Düsseldorfer Kammerpräsident Georg Schulhoff hatte entscheidenden Anteil daran, dass sich die Vorstellungen von Qualitätswahrung auf dem Boden des ebenso fundierten wie bewährten Ausbildungssystems (Lehrling, Geselle und Meister) in der Handwerksordnung 1953 durchsetzten und das Handwerk als eigenständiger, selbstverwaltender Wirtschaftssektor erhalten blieb.

Die klassischen Aufgabenfelder der Handwerkskammer erfuhren auch in der Bundesrepublik keine grundlegende Änderung, jedoch einen fortschreitenden Bedeutungswandel. Weiterhin blieben hoheitliche Aufgaben wie Interessenvertretung wesentliche Tätigkeiten der Kammer, doch sollte die Dienstleistungsfunktion für die Mitglieder immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Zukunftsfähigkeit der Kammern

Prof. Rolf Stober, Universität Hamburg, erklärte, dass die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im Jahre 1996 unter der verharmlosenden Bezeichnung "Reform" die Auflösung der Industrie- und Handelskammern gefordert und diese Forderung im Jahre 1999 wiederholt habe. Das veranschauliche unmissverständlich: Die Kammern sind existenzgefährdet. Sie stehen unter einem hohen Rechtfertigungsdruck und leiden unter einem Akzeptanzproblem.

Zwar konzentriere sich der Streit auf die Industrie- und Handelskammern. Die Handwerkskammern sollen weder überprüft noch in Frage gestellt werden, aber der Schein der rechtspolitischen Stille trüge gewaltig, erklärte Rolf Stober. Denn die Stoßrichtung ziele subtil auf die Abschaffung der Kammermitglieder und deshalb mittelbar auf die Abschaffung der Handwerkskammern als Organisation. Ein Motor sei die Monopolkommission, die die Meisterbefähigung als überholt ansehe. Zwar wolle der ZDH (Zentralverband des deutschen Handwerks) den großen Befähigungsnachweis europaweit zum Best-Practice-Standard erheben, es sei aber kaum zu erwarten, dass sich dieser Maximalvorschlag durchsetze.

Ein weiterer Motor, so Stober, sind die novellierten Berufsbilder des Handwerks. So sei es nicht gelungen, den boomenden und serviceorientierten Computerfachhandel in die Handwerksordnung einzubeziehen.

Damit werde die Nabelschnur zu wichtigen technologischen Zukunftsberufen und neuen Mitgliederquellen zerschnitten. Ein anderer Motor sei die Öffnung des Binnenmarktes für das Handwerk. Die Kammermitglieder könnten ihrer Kammer durch Produktionsverlagerung entfliehen und sich "entkammern". Zusammengenommen werde die Debatte um die Handwerkskammern also nicht offen, sondern versteckt geführt. Und das sei besonders gefährlich, so Prof. Rolf Stober. Wenn allerdings die Industrie- und Handelskammern fielen, dann werden auch die Handwerkskammern verfassungsrechtlich und ordnungspolitisch kaum haltbar sein.

Unterschiede zwischen HK und Verbänden

Prof. Dr. Christian Smekal, Universität Innsbruck, arbeitete in seinem Statement die Unterschiede zwischen Handwerkskammern und Fachverbänden heraus.

Die Handwerkskammern wie sie in Deutschland organisiert sind, so Smekal, weisen eine Reihe positiver Voraussetzungen auf, die die Vereinbarkeit von intensiver Mitgliederbetreuung und Pflichtmitgliedschaft begünstigen. Die Vielzahl der überwiegend klein- und kleinststrukturierten Handwerksbetriebe sehe sich einem intensiven Wettbewerb von mittleren und größeren Betrieben des Gewerbes und der Industrie gegenüber. In dieser Situation sind sie auf Zusammenhalt und solidarische Unterstützung zur Sicherstellung und Erreichung optimaler wirtschaftlicher Rahmenbedingungen angewiesen.

Verbände produzierten Leistungen, die weder über den Markt noch über den Staat in gewünschter Weise bereitgestellt werden können. Dies sei der Grund, warum es in nahezu allen Gesellschaften zu Verbandsbildungen gekommen sei.

Es handele sich bei diesen Leistungen um Gruppengüter, die ein Einzelner zu vergleichsweise höheren Kosten oder gar nicht zur Verfügung stellen könne. Auch der Staat könne sie nicht bereitstellen, da er definitionsgemäß für das gesamte Kollektiv und nicht für Teil- bzw. Gruppeninteressen zuständig sei.

Solche Aufgaben, so Smekal, sind die Interessenvertretung gegenüber dem Staat und seinen Körperschaften, gegenüber anderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gruppen, der Interessenausgleich nach innen sowie die allgemeine Unterstützung von Mitgliedern in Bereichen der Information, Beratung und Ausbildung.

Nach den Worten von Smekal stehen den Vorteilen des Lobbyismus aber auch schwerwiegende Nachteile gegenüber. Der Kampf um Einfluss innerhalb eines Verbandes sowie in Wirtschaft und Politik werde mitunter von einigen wenigen potenten Geldgebern angeführt. Das Kammersystem begegne dem Verbandsdilemma hingegen durch die Pflichtmitgliedschaft. Sie stelle sicher, dass alle, die aus der Bereitstellung von Gruppengütern Nutzen ziehen, auch zur Zahlung herangezogen werden. Dadurch werde theoretisch die Übereinstimmung von Nutznießern und Kostenträgern und damit die Produktion des Gruppengutes sichergestellt. Die Verleihung des Rechtsinstituts der Pflichtmitgliedschaft, der Selbstverwaltung und der Eigenfinanzierung durch den Staat sei Ausdruck dafür, dass dieser den Kammerninstitutionen auch öffentliche Aufgaben übertrage.


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