IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 11/1999, Seite 12 ff.


REPORT


"Es reicht"

NRW-Handwerk macht mobil

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland fand am 6. Mai in Düsseldorf eine Demonstration des nordrhein-westfälischen Handwerks statt. Rund 4000 Handwerker versammelten sich am Rhein, um ihren Unmut über die geplante Änderung der Gemeindeordnung, Scheinselbständigkeit, Belastung der Handwerksbetriebe durch die Ökosteuer, Änderung bei den 630 Mark Jobs und die Verdoppelung der Steuern bei Betriebsaufgaben und Betriebsveräußerungen zum Ausdruck zu bringen. Den Löwenanteil der Teilnehmer stellte die SHK-Branche, die zuvor bereits in besonderer Weise aktiv war. Besonders erfreulich: Die Düsseldorfer Polizei kommentierte den Auftritt der Handwerker als äußerst diszipliniert. Originalton eines Beamten: "Endlich demonstrieren mal keine Chaoten."

SHK-Aktionstag

Einen guten Beginn hatte der Demo-Tag des nordrhein-westfälischen Handwerks in Düsseldorf. Bereits um 11.00 Uhr versammelten sich an drei Startpunkten über 1000 SHK-Handwerker mit rund 750 Kundendienstfahrzeugen aus dem ganzen Land. In einer Sternfahrt fuhr man zu den Parteizentralen der Düsseldorfer Landtagsparteien SPD, CDU, Bündnis 90 - Die Grünen, um eine Protestresolution des Handwerks an die Landespolitiker zu überreichen.

Dr. Hans-Georg Geißdörfer, Hauptgeschäftsführer des nordrhein-westfälischen SHK-Fachverbandes übergab diese Resolution an den SPD-Geschäftsführer Ulrich Wehrhöfer.

Wesentliche Inhalte diesen Papiers sind:

Das Handwerk ist mit 160 000 Betrieben und 1,3 Mio. Beschäftigten der stärkste und wichtigste Wirtschaftsbereich in unserem Bundesland. Mit 20% aller Arbeitsplätze und 40% aller Ausbildungsstellen schafft es mehr Sicherheit für unsere Gesellschaft als jeder andere Wirtschaftsbereich.

Bereits morgens um 11.30 Uhr sammelten sich an drei verschiedenen Punkten über 1000 SHK-Handwerker mit ca. 750 Fahrzeugen.

Die NRW-Handwerksbetriebe sagen deshalb:

NEIN! Zur krassen Erhöhung der Besteuerung des Betriebsveräußerungsgewinns!
NEIN! Zum gründerfeindlichen Scheinselbständigkeitsgesetz!
NEIN! Zur arbeitsplatzvernichtenden Änderung der 630,- DM-Jobs!
NEIN! Zur einseitigen Belastung der Handwerksbetriebe durch die Ökosteuer!

Eines der Kernthemen der Düsseldorfer Aktion könnte besser nicht zum Ausdruck kommen.

Wehrhöfer signalisierte Gesprächsbereitschaft und geht davon aus, daß es zu einem vernünftigen Kompromiß im Sinne von Handwerk, Stadtwerken und allen anderen Beteiligten kommen wird. Dr. Geißdörfer verwies abschließend darauf, daß eine Tagelöhnerfunktion des Handwerks in keinem Falle akzeptiert werde. Für seine Ausführungen erhielt der Verbandsfunktionär überwältigende Zustimmung von den anwesenden Handwerkern, während sich Wehrhöfer mit Pfiffen und Buhrufen begnügen mußte.

Handwerk und Politik bezogen in Düsseldorf Position.

"Es reicht!"

Unter diesem Motto versammelten sich rund 4000 (die Polizei gab 5000, die Tagespresse 3000 Teilnehmer an) Handwerker aus dem gesamten Land am Nachmittag auf dem Düsseldorfer Burgplatz zu einer Kundgebung. Auf Drängen vieler betroffener Handwerksbetriebe sowie der Kammern, Fachverbände und Kreishandwerkerschaften in Nordrhein-Westfalen hatten die Gremien des Nordrhein-Westfälischen Handwerkstages sich entschlossen, dem Widerstand des Handwerks gegen die Expansion kommunaler Betriebe auf handwerkliche Märkte sowie gegen die Aushöhlung des Meisterbriefes demonstrativen Nachdruck zu verleihen.

Nach der Sternfahrt zu den Parteizentralen der NRW-Landtagsparteien wurden die Protestresolutionen übergeben. Hier an der Geschäftsstelle der SPD übergab Dr. Hans-Georg Geißdörfer die Resolution an den SPD Geschäftsführer Ulrich Wehrhöfer.

"Halten Sie es für richtig, daß Stadtwerke Heizungen installieren, Elektroanlagen bauen und Autos reparieren?" Mit diesen Worten brachte Hansheinz Hauser auf den Punkt, was die Handwerker bewegt. Hauser weiter: "Was in der DDR bei den volkseigenen Betrieben gescheitert ist, soll man nicht in NRW auf Kommunalebene erneut ausprobieren." Unterstützung gab es durch den Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Dieter Philipp, der sagte: "Wer die Spielräume der Kommunen für eine gewinnorientierte wirtschaftliche Betätigung erweitert, untergräbt nicht nur das in der Vergangenheit bewährte Miteinander von Kommunen und Handwerk, er richtet einen dauerhaften Flurschaden an."

Gemeinsam gingen die SHK’ler anschließend zum Burgplatz.

Auch das Handwerk in Moskau teilt die Sorgen der nordrhein-westfälischen Kollegen. In einer Grußadresse an die Partnerkammer in Düsseldorf erinnerte Alexander Rusijkin, Präsident der Handwerkskammer Moskau, an leidvolle Erfahrungen mit Staatsbetrieben in Rußland. "Konkurrenz aus dem öffentlichen Sektor führt auf Dauer zum Untergang des Handwerks", so Rusijkin.

Entgegenkommen signalisierte Minister Peer Steinbrück, der sein Verständnis für die Sorgen des Handwerks zum Ausdruck brachte. Gleichzeitig warb der Landespolitiker aber auch um Verständnis für die Kommunalbetriebe, die durch die Europapolitik arg unter Druck geraten seien. Als Kompromiß bezeichnete Minister Steinbrück eine in der Gemeindeordnung festzuschreibene Kooperation zwischen Stadtwerken und Handwerksunternehmen.

Dabei handelt es sich bisher allerdings um Lippenbekenntnisse. Die "Kuh ist für das Handwerk noch nicht vom Eis". Die eindeutige Botschaft der versammelten Handwerkerschaft in Richtung kommunaler Betriebe lautete daher "Schuster bleib bei deinem Leisten"! Mit "Beruhigungspillen" seitens der Politik will man sich jedenfalls nicht mehr abspeisen lassen.

Die Leser der IKZ-HAUSTECHNIK waren auch im Internet "live" dabei:

 


Stellungnahme zur geplanten Änderung der NRW-Gemeindeordnung

Eindrucksvoll hat auch das nordrhein-westfälische SHK-Handwerk Front gegen die geplante Änderung der Gemeindeordnung gemacht. Man kann nur hoffen, daß dem Gesetzesentwurf die Giftzähne gezogen werden. Ein Kompromiß soll sich abzeichnen, sonst bricht der Sturm los.

Die Einwände in Kurzform:

1. Zunächst sind scheinbar "nur" Zehntausende von selbständigen Existenzen in den gebäudetechnischen Gewerken, im Garten- und Landschaftsbau sowie bei freiberuflichen Planungsleistungen unmittelbar betroffen. Doch tatsächlich handelt es sich noch um weit mehr. Eine Grenze für die kommunalwirtschaftliche Betätigung ist kaum noch erkennbar. Der Gesetzentwurf ist ein Freibrief für den Einmarsch öffentlicher Unternehmen auf kommunaler Ebene in die breite Fülle mittelständischer Märkte. Die öffentliche Hand als Unternehmer - das ist ein Projekt, das schon in der DDR gescheitert ist. Derartige Experimente auf Kosten mittelständischer Arbeitsplätze neu zu unternehmen, ist unverantwortlich. Ebenso ist es unverantwortlich, die Entscheidung darüber der Einschätzungsprärogative kommunaler Räte zu überlassen.

2. Durch die Gesetzesvorlage wird außerdem die Einheit der Wirtschaftspolitik in Nordrhein-Westfalen aufgegeben. Es ist widersinnig, das, was man an Arbeitsplätzen durch Gründungsoffensive, Meistergründungsprämie, Wirtschaftsförderung und Betriebsübergabeaktionen aufbaut, stabilisiert oder rettet, durch ein völlig verfehltes Gemeindewirtschaftsrecht gleichzeitig wieder kaputtzumachen.

3. Anders als von der Landesregierung behauptet, hält der Entwurf keineswegs an der grundsätzlichen Subsidiarität kommunalwirtschaftlicher Betätigung fest. Deshalb ist der Eindruck, den die Landesregierung erwecken will, ihr Gesetzesvorschlag stelle einen gerechten Interessenausgleich dar, falsch. Vielmehr hat sich die Landesregierung in einem bisher wohl einmaligen Kurswechsel über mehrere Stufen von der grundsätzlichen Subsidiarität kommunalwirtschaftlicher Betätigung zum genauen Gegenteil, nämlich der grundsätzlichen Subsidiarität der privatwirtschaftlichen Betätigung bewegt. Ausgangspunkt ist die geltende Gemeindeordnung, die in aller Klarheit sagt, daß sich die Gemeinden nur dann wirtschaftlich betätigen dürfen, wenn ein dringender öffentlicher Zweck die Betätigung erfordert. Dem folgten - bis in die jüngste Vergangenheit hinein - Erklärungen der Landesregierung, die diesen Grundsatz bekräftigt haben. Der Referentenentwurf enthielt dann eine weitreichende Aufweichung dieser Position ("wenn ein öffentlicher Zweck die Betätigung rechtfertigt"), allerdings nach dem Vorbild anderer Bundesländer verbunden mit einem expliziten Subsidiaritätsprinzip, nach dem die Gemeinden nur dann wirtschaftlich tätig werden dürfen, wenn ein Privater dies nicht ebenso gut und wirtschaftlich kann. Dieses Subsidiaritätsprinzip wurde aber zugleich wieder aufgehoben für "Kernbereiche" der Energieversorgung, Wasserversorgung, des öffentlichen Personennahverkehrs sowie des Betriebes von Telekommunikationsleitungen. Angekommen ist die Landesregierung letztendlich bei einem völlig verwässerten Subsidiaritätsprinzip ("nicht besser und wirtschaftlicher"), das noch dazu wiederum, aber dieses mal für "Bereiche", aufgehoben wird. Der Gesetzesentwurf der Landesregierung senkt die Hürden für die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden soweit ab, daß man sie kaum noch erkennen kann. Es geht um Bestandsschutz der Beschäftigten bei kommunalen Unternehmen zu Lasten der Beschäftigten bei privaten Unternehmen.

4. Die mit dem Gesetzentwurf verbundene Erwartung, mit ihm könne ein neues kommunales Wirtschaftsrecht geschaffen werden, das etwas länger haltbar sein wird, als die bisherigen Versuche, wird sich nicht erfüllen. Der Gesetzentwurf enthält eine Fülle von Unklarheiten. Dazu gehört die Frage, welche wirtschaftliche Betätigung durch einen öffentlichen Zweck gerechtfertigt ist und welche nicht. Dazu gehört auch die Frage nach der tatsächlichen Relevanz des Subsidiaritätsprinzips in der von der Landesregierung vorgeschlagenen Form. Dazu gehört schließlich auch die Frage, wo die "Bereiche" beginnen und enden, in denen dieses Subsidiaritätsprinzip nicht gelten soll. Die Landesregierung beschränkt sich mit ihrem Gesetzentwurf auf das eindeutige politische Signal, das die Gemeinden sich vermehrt wirtschaftlich betätigen dürfen; sie vermag aber nicht zu sagen, welche Tätigkeiten sie damit meint. Dies bedeutet, daß die Landesregierung die inhaltliche Ausfüllung des von ihr vorgeschlagenen Gesetzes den Gerichten überläßt, wobei je nach Ergebnis der gerichtlichen Auseinandersetzungen weitere Novellierungs-Runden ins Haus stehen dürften, weil nur so die Wünsche der Exponenten einiger Großstädte erfüllt werden können.

5. Vergeblich wird schließlich auch der Versuch sein, die vermutlichen Auswirkungen der Liberalisierung der Energieversorgungsmärkte durch eine Änderung der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung auffangen zu wollen. Das ist ein legitimes Ziel. Vermögen der öffentlichen Hand darf nicht verschleudert werden. Die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung ist aber das untaugliche Instrument, um dieses Ziel zu erreichen. Denn es ist eine vollständige Illusion anzunehmen, daß die Verluste aus dem Wegfall der Monopolsituation durch erwerbswirtschaftliche Einnahmen kompensiert werden könnten. Der von der Landesregierung vorgelegte Gesetzentwurf hat deshalb auch den Charakter eines Beschwichtigungsgesetzes für Oberstadtdirektoren und Stadtwerke. Eine realistische Zukunftsperspektive vermag er nicht zu bieten. Allerdings können diesem Beschwichtigungsversuch sehr viele private kleine und mittlere Betriebe zum Opfer fallen. Die Kommunen wären besser beraten, der gegebenen Herausforderung etwa durch Stärkung ihrer Einkaufsmacht mittels interkommunaler Kooperation zu begegnen.

6. Das SHK-Handwerk hält alle Versuche, einen fairen Wettbewerb zwischen kommunalen Unternehmen und privaten Unternehmen per Gemeindeordnung erreichen zu wollen, für nicht realisierbar. Auch die wohlmeinendsten Absichten werden daran scheitern müssen, daß die Vorstellung, die kommunalwirtschaftliche Betätigung sei dann in Ordnung, wenn nur ein fairer Wettbewerb sichergestellt werde, mit der Realität nichts gemein hat. Der Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Betrieben kann niemals fair sein. Wo liegt in der Realität das Konkursrisiko einer scheinprivatisierten kommunalen GmbH? Private Betriebe haben gegen die gewaltige Funktionspotenzierung bei Kommunen, die ihnen zugleich als Fiskus, Ordnungs- und Planungsinstanz, Auftraggeber sowie Wettbewerber gegenübertreten, keine Chance. Auch die personellen Verflechtungen zwischen Räten, Verwaltungen und kommunalen Unternehmen lassen die Vorstellung, daß die Gemeinde selbst einen fairen Interessenausgleich zwischen den Belangen der gemeindeeigenen Unternehmen und den Belangen der örtlichen privaten Wirtschaft nehmen kann, reichlich blauäugig erscheinen.

Dr. Hans-Georg Geißdörfer


  

 


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