IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 4/1999, Seite 62 ff.


UNTERNEHMENSFÜHRUNG


Die Beschwerde als Parameter der Kundenzufriedenheit

Rainer Bröcher*

Die Beschwerde bzw. der Beschwerde-Prozeß ist ein wichtiger Teilbereich der Zufriedenheitsforschung, da durch das gehobene Qualitätsniveau der Produkte, der Sättigung vieler Märkte und das ungebrochene Tempo des wirtschaftlichen Wandels Kunden-Bedürfnisse und -Reaktionen immer schlechter vorhersehbar sind.

Mit der permanenten Bearbeitung von Beschwerden erhält das Unternehmen Informationen über die erlebten Empfindungen des Kunden vor, während und nach Abschluß der Kaufphase. Diese Informationen sind Auslöser zur Gestaltung und Verwendung neuer Marketingkonzeptionen, die sich unmittelbar an den Empfindungen der Käufer orientieren.

Ein großer Anteil der Unternehmen empfindet die Beschwerde als lästige Störung, wobei hohe Beschwerderaten als negativer Imagefaktor, geringe -raten dagegen als Indikator für eine positive Einschätzung des Kunden gegenüber dem Produkt und dem Unternehmen bewertet werden.

Wenn ein Unternehmen Beschwerden als Chance nutzt, so führt diese Sichtweise dazu, daß die vom Kunden artikulierte Unzufriedenheit im Markt optimiert wird, was durch zwei Effekte veranschaulicht werden kann.

1. Beschwerden bieten die Möglichkeit zur Beseitigung von Unzufriedenheitsursachen wodurch die Abwanderung von Kunden verhindert und Wiederkaufsraten erhöht werden können,

2. Beschwerden dienen der Umfeldforschung und Beobachtung ungerichteter Umfeldsignale. Damit erfüllen sie in strategischer Hinsicht eine notwendige Frühwarnfunktion.

Durch die aufgezeigten Zusammenhänge verliert die Beschwerde ihre negative Assoziation im Unternehmen und präsentiert vielmehr die Chance zum direkten Dialog mit dem Kunden bzw. einer aktiven Politik der Kundennähe.

Bild 1: Beschwerdebereiche.

Ursachen der Beschwerdeführung

Die Ursachen der Beschwerdeführung resultieren aus einer Diskrepanz von Kauferwartung und vom Kunden erlebter Produkt- und/oder Unternehmensleistung. Diese Differenzen können in den unterschiedlichsten Bereichen entstehen, wie Bild 1 zeigt.

Die aufgeführten Bereiche beziehen sich auf die Zufriedenheit mit der Unternehmens- bzw. der Produktleistung die unter dem Begriff der Mikro-Konsumentenzufriedenheit eingeordnet wird. Die Ursachen, die für die Entstehung von Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit verantwortlich sind, versucht die Zufriedenheitsforschung zu klären. Da es sich hier um ein komplexes Forschungsgebiet handelt, soll der Vollständigkeit wegen nur ein grundsätzlicher Ansatz zur Ermittlung von Kundenzufriedenheit dargestellt werden.

Die Beschreibung der Zufriedenheit wird durch den Vergleich der Kundenerwartung und der tatsächlich empfundenen Leistung vorgenommen. Je nach Lage des Schnittpunktes können tendenzielle Aussagen über die Kundenzufriedenheit gemacht werden (Bild 2).

Bild 2: Ermittlung der Kundenzufriedenheit.

Beschwerden aus Kundensicht

Treten Produktprobleme auf, dann stehen die Kunden vor der Überlegung, ob die Durchführung einer Beschwerde sinnvoll oder lohnenswert ist. Dabei belegen empirische Studien, daß eine Beschwerdepassivität hauptsächlich folgende Gründe hat:

Dabei kann ein Zusammenhang von Produktpreis und Beschwerdebereitschaft erkannt werden. Bei Produkten, die lediglich einige DM kosten, ist die Beschwerdebereitschaft relativ gering. Dagegen nimmt sie deutlich zu, je teurer das Produkt ist, womit automatisch ein höherer potentieller Verlust assoziiert wird.

Bei dieser Kosten-Nutzen-Hypothese geht man davon aus, daß das Kundenverhalten primär von der subjektiven Einschätzung des zu erwartenden Kosten-Nutzen-Verhältnisses abhängt. Dabei wird sich eine hohe Beschwerdebereitschaft zeigen, wenn die erwarteten "Erträge" die zu erwartenden Kosten und Mühen rechtfertigen. Durch diese Überlegungen steht der Kunde nun vor einem "Informationsdilemma", denn es liegt Ungewißheit bezüglich Kosten und Erträge vor, so daß als Ergebnis dieses Kalküls dem Kunden zwei grundsätzliche Reaktionen zur Verfügung stehen.

1. Widerspruch: Der Konsument artikuliert seine nicht erlebte Bedürfnisbefriedigung gegenüber dem Unternehmen.

2. Abwanderung: Der Konsument wechselt ohne sich zu beschweren zur Konkurrenz.

Die Kunden, die sich nicht beschweren - sogenannte unvoiced complaints -, obwohl sie unzufrieden sind, stellen eine Gefahr für das Unternehmen dar, denn von dieser Gruppe erhält das Unternehmen keine Informationen über deren Bedürfnisse und Probleme.

Der Beschwerdeprozeß stellt sich für den Kunden als Problemlösungsprozeß dar, in dem das Unternehmen häufig die letzte Chance erhält, dem Kunden ein Zufriedenheitserlebnis zu vermitteln. Diese Zufriedenheit wirkt sich dabei vorrangig auf künftige Kaufentscheidungen aus. Daher ist es sinnvoll, den Vorgang der Beschwerdeführung und die daran gekoppelte Reaktion des Kunden auf das Ergebnis differenziert zu betrachten.

Bild 3: Merkmalsgruppen der Beschwerdeführung.

Die Merkmale der Beschwerdeführung beinhalten alle Reaktionen des Kunden auf die festgestellte Diskrepanz von Erwartung und erlebter Leistung. Dabei wird die Beschwerdeführung in vier Merkmalsgruppen unterteilt, die ihrerseits wie Bild 3 zeigt, durch verschiedene Indikatoren beschrieben werden können.

Für die Beschwerdezufriedenheit ist insbesondere der Vergleich von Beschwerdeerwartung und -ergebnis bzw. -bewertung von Interesse. Dabei kann vor allem festgestellt werden, daß die Zufriedenheit sehr stark durch individuelle Personen- und Problemmerkmale bestimmt wird. Im einzelnen können hier drei Aussagen bezüglich der Zufriedenheit gemacht werden.

1. Der Kunde ist um so zufriedener mit dem Beschwerdeergebnis, je stärker sich seine Erwartungen bestätigt haben.

2. Kunden sind zufrieden, wenn ihre Beanstandung schnell und mit wenig Kontakten bearbeitet wurde.

3. Ein hoher Grad an Beschwerdezufriedenheit geht häufig mit einem hohen Grad an Produktzufriedenheit einher.

Besonders der letzte Punkt zeigt den engen Zusammenhang allgemeiner Kundenzufriedenheit und der Bedeutung der Beschwerdezufriedenheit von Kunden.

Bild 4: Beschwerdeparadigma.

Wer wird sich aus
Welchen Gründen mit
Welchen Maßnahmen
Welcher Form
Wo
Wie häufig
Wie lange in

Welchen Situationen bei
Welchen Produkten/Dienstleistungen mit
Welchem Erfolg beschweren
bzw.
Wer sich aus welchen Gründen nicht beschwert?

Beschwerdeführer
Probleme
Beschwerdemaßnahme
(persönlich, schriftlich)
Beschwerdeort
Beschwerdehäufigkeit
Dauer des Beschwerdeprozesses

Beschwerdesituation

Produktbezug
Beschwerdeergebnis

"unvoiced complaints"

Beschwerden aus Unternehmenssicht

Die Bedeutung von Beschwerden für das Unternehmen kann in zwei Bereiche aufgeteilt werden. Zum einen erhält das Unternehmen Informationen über die einzelnen Leistungen. Zum anderen liefern sie Informationen über das Verhalten von Kunden, welches als Beschwerdeparadigma in Bild 4 dargestellt ist.

Informationen dieser Art werden allerdings nur selten systematisch ausgewertet, da man überzeugt ist, aus dem Marketingmanagement bereits ausreichend über Kundenprobleme informiert zu sein.

Fazit

Fortschrittliche Unternehmen nutzen die Beschwerde als "Controlling" zur Verbesserung der Unternehmensleistungen. Aus den hier gesammelten Informationen können neben den Hinweisen zur Qualitätsverbesserung eine Vielzahl von kundenspezifischen Verhaltensweisen ermittelt werden. Die Auswertung dieser Daten ermöglicht eine marktorientierte Politik mit spezifischer Ausrichtung auf die Steigerung der Kundenzufriedenheit und dem sich hieraus ergebenden Unternehmenserfolg.


* Rainer Bröcher, Leiter Service und Verkaufsförderung der Sieger Heizsysteme GmbH, Siegen


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