IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 17/1998, Seite 108 f.


RECHT-ECK


Stichwort: Kalkulationsirrtum

Auswirkungen bei einer öffentlichen Ausschreibung

RA F.-W. Stohlmann

Immer wieder geistert der Begriff "Kalkulationsirrtum" durch die juristische Landschaft, ohne daß der einzelne SHK-Betrieb so recht weiß, was unter Kalkulationsirrtum überhaupt verstanden wird, welche Folgen ein solcher Kalkulationsirrtum hat und wie sich ein Kalkulationsirrtum bei einer öffentlichen Ausschreibung auswirkt. Im BGB ist in § 119 definiert, wann eine Anfechtung einer Willenserklärung wegen Irrtums in Betracht kommt. Dieser Gesetzestext lautet: "Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhaltes überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, daß er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde."

In der Rechtsprechung sind vielfältige Fälle aufgeführt, bei denen eine Anfechtung wegen Irrtums möglich ist, so z.B., wenn ein SHK-Betrieb zehn Radiatoren für ein privates Bauvorhaben seines Kunden bestellen will, versehentlich aber durch einen Schreibfehler 100 Radiatoren bestellt. Selbstverständlich kann dieser Betrieb die Erklärung anfechten, weil er nachweist, daß es sich um einen Schreibfehler seines Büros handelt, da tatsächlich nur zehn Radiatoren für das ausgeschriebene Bauvorhaben, das in der Bestellung benannt ist, benötigt werden.

Problematisch wird die Angelegenheit dann, wenn es sich um einen sog. Motivirrtum handelt, also einen Irrtum im Beweggrund. Solche Irrtümer liegen z.B. vor, wenn sich jemand über den Wert der Sache irrt. Kauft jemand in einer Kunstgalerie ein Bild, dessen Wert er mit 1.000.000,- DM aufgrund interner Informationen einschätzt, für 80.000,- DM und stellt sich später heraus, daß dieses Bild nur 20.000,- DM wert ist, so handelt es sich um einen reinen Motivirrtum. Eine Anfechtung ist ausgeschlossen. Pech gehabt!

Das OLG Nürnberg hat in einem hochinteressanten Urteil vom 30.5.1996 zum Kalkulationsirrtum bei öffentlicher Ausschreibung wichtige Hinweise gegeben. Der Leitsatz des OLG lautete wie folgt:

"Ein Bieter, der wegen eines von ihm behaupteten Kalkulationsirrtums aus der Angebotsbindung entlassen werden will, muß seinem (zukünftigen) Auftraggeber auch ohne spezielle Aufforderung sämtliche Unterlagen zur Verfügung stellen, aus denen sich der Kalkulationsfehler ableiten läßt."

Was war passiert? Bei der Ausschreibung einer Autobahnbrücke behauptet der an günstigster Stelle liegende Bieter, er habe in Pos. 18 aufgrund eines Kalkulationsirrtumes 1,7 Mio. DM zuwenig angesetzt. Ferner wirke sich eine preislich nicht berücksichtigte Lohnerhöhung mit etwa 840.000,- DM aus. Die vom Bauamt verlangten näheren Angaben dazu wollte er aber nur machen, wenn er zu dem "berichtigten" Preis den Zuschlag erhalte. Daraufhin erteilt das Amt den Auftrag auf das abgegebene Angebot, setzt eine Nachfrist mit Kündigungsandrohung und entzog nach deren fruchtlosem Ablauf den Auftrag. Ein ersatzweise beauftragter anderer Unternehmer ist um 2,7 Mio. DM teurer. Diese Differenz klagt der öffentliche Auftraggeber vor dem LG Nürnberg und dann in 2. Instanz vor dem OLG Nürnberg ein.

Das Oberlandesgericht Nürnberg hat die Erstattung der Mehrkosten dem Grunde nach bejaht, weil sich der Auftragnehmer nicht aus der Bindung an sein Angebot lösen könne (§ 145 BGB i. V. m. § 19 VOB/A). Eine Anfechtung wegen Kalkulationsirrtums sei nicht möglich, weil der behauptete Irrtum lediglich Preisbildungsfaktoren betreffe. Solche Berechnungsfehler stellten einen unerheblichen Motivirrtum dar, so daß § 119 Abs. 1 BGB nicht erfüllt sei. Aber auch die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eröffnete Möglichkeit, eine Angebotsbindung als unzulässige Rechtsausübung des Auftraggebers gem. § 242 BGB zu qualifizieren, greife im vorliegenden Falle nicht. Denn der Auftraggeber müsse von dem Fehler auch Kenntnis haben, "Kennenmüssen" genüge nicht. Außerdem müsse der Fehler so gewichtig sein, daß dem Bieter ein Festhalten an seinem Angebot nicht zugemutet werden könne; dies setze aber ein, auch nach objektiven Maßstäben, unauskömmliches Angebot voraus. "Positive Kenntnis" des Auftraggebers könne hier nicht angenommen werden, weil die streitige Position 18 im Vergleich zu anderen Angeboten keinesfalls unangemessen niedrig erscheine und weil dem Auftraggeber sonst keine Unterlagen zur Überprüfung dieser Behauptung zur Verfügung gestanden hätten. Ferner sei der Unterschied im Gesamtpreis nicht so groß, daß man von einer unzumutbaren Härte sprechen könne.

Gegen dieses Urteil des OLG Nürnberg hat das betroffene Unternehmen Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt. Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluß vom 13.11.1997 die Revision nicht angenommen. Damit hat der Bundesgerichtshof die Auffassung des OLG Nürnberg als richtig bestätigt, so daß der öffentliche Auftraggeber damit einen Schadensersatzanspruch in Millionenhöhe gegen das Unternehmen durchsetzen kann.

Kommentar:

Bei einem angeblichen Irrtum über eine rechtliche Willenserklärung ist stets problematisch, ob der die Erklärung abgebende, dem sie Nachteile bringt, schutzwürdiger ist oder der Adressat, der auf sie vertraut. Das war hier der öffentliche Auftraggeber. Gesetz und Rechtsprechung haben sich - von wenigen Ausnahmen abgesehen - für letzteren entschieden, also für den auf die Richtigkeit des Angebots vertrauenden Auftraggeber. Der Erklärende muß sich daher fast immer an seinem Angebot festhalten lassen, was - wie im vorliegenden Fall - zu einem erheblichen Regreßanspruch des öffentlichen Auftraggebers aufgrund der Auftragserteilung an den Zweitbieter geführt hat.

Anders wäre der Fall nur dann zu beurteilen, wenn dem öffentlichen Auftraggeber eindeutig aufgrund der Prüfung der Angebote klar geworden wäre, daß ein Anbieter sich offensichtlich gravierend verkalkuliert hat. Wäre z.B. die Pos. 18 des verhandelten Falles von allen Mitanbietern zwischen 1 Mio. DM und 1,2 Mio. DM angeboten worden und hätte der Billigstbieter diese Position nur mit 100.000,- DM in Ansatz gebracht, so wäre ein auffälliges Mißverhältnis deutlich geworden, auf das der Auftraggeber im Rahmen der Ausschreibung hätte hinweisen müssen. Dies aber war nicht der Fall, wie sich aus den Entscheidungsgründen des OLG Nürnberg deutlich ersehen läßt.

(Urteil des OLG Nürnberg vom 30.5.1996, Az.: 13 U 3675/95, abgedruckt in der Neue Juristische Wochenschrift Rechtsreport 1998, S. 595).


[Zurück]   [Übersicht]   [www.ikz.de]