IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 7/1998, Seite 98 f.


UNTERNEHMENSFÜHRUNG


Wo steht die Führungskraft?

Horst Peagitsch

Diese Ausarbeitung knüpft an den gleichnamigen Artikel in IKZ-HAUSTECHNIK Ausgabe 18/97 an. Dort wurde herausgestellt, daß der Begriff "Mitarbeiter" oft einen ironischen Klang hat, da Vorgesetzte häufig mit dem Schlagwort "lieber Mitarbeiter" den angepaßten Untertan meinen.

Information und Mitbestimmung am Entscheidungsprozeß

Zur Rolle des angepaßten Untertanen gehört, daß Mitarbeiter nur unzureichend informiert werden. Im Privatleben jedoch haben dieselben Personen - in ihrer Rolle als mündige Bürger - Zugang zu vielen Informationen: Zeitung, Illustrierte, Fachzeitschrift, Fernsehen und Rundfunk. Dagegen ist im Arbeitsleben, im Betrieb, der Informationsfluß gestört. Das Ausmaß der Informationen nimmt von oben nach unten hin ab. Wichtige Entscheidungen "sickern" nur langsam durch. Informationen von unten werden vielfach abgelehnt: "Ich als Ihr Vorgesetzter trage die Verantwortung und entscheide darüber, nicht Sie!" Ein Informationsaustausch, eine Kommunikation, findet kaum statt. Doch Information und Kommunikation gehören zu den elementaren Voraussetzungen einer sozialen und menschenwürdigen Gestaltung der betrieblichen und unternehmerischen Ordnung. Diese Wertvorstellungen, die das politische Leben und den mündigen Staatsbürger kennzeichnen, müssen in Unternehmen hineingetragen werden, müssen ihren Niederschlag in einem veränderten Führungsstil finden.

Ein Führungsstil, der dem Wandel der Gesellschaft Rechnung trägt, berücksichtigt auch Initiativen und Vorschläge der Mitarbeiter. Heute fallen die meisten Entscheidungen noch in den oberen Ebenen der Hierarchie ohne daß die Betroffenen zur Beratung hinzugezogen werden. Doch die Betriebssoziologie hat nachgewiesen: Eine Verlagerung vieler Entscheidungen von oben nach unten macht den Betrieb leistungsfähiger und menschenwürdiger.

So schreibt der bekannte Politologe Peter von Oertzen: "Selbstverständlich wissen die Angehörigen der Hierarchie in gewisser Hinsicht desto mehr, je weiter sie oben stehen; aber in mancher anderen Hinsicht wissen sie auch wieder desto weniger."

Das beginnt mit einem ganz simplen Umstand: Die Betriebsorganisation, Planung, Kalkulation arbeitet unter der stillschweigenden Voraussetzung mehr oder weniger reibungslosen Funktionierens des Betriebes...! Die Störungsquellen sind unzählig und schlechterdings unvorhersehbar: Wechsel in der Materialqualität, Störungen in der Materialanlieferung und der Bereitstellung der Werkzeuge, plötzliche Veränderung in der Zuweisung der Arbeit und in der Zeitplanung; dazu die unumgänglichen und unvermeidlichen technischen Störungen und die sich daraus ergebenden Reparaturen usw.

Sie begleiten die tägliche Arbeit unausweichlich. Und die Behebung dieser Störungen ist in der Regel nicht so sehr die Leistung der Hierarchie als vielmehr die ungeplante, dabei nicht selten gegen die Betriebsordnung verstoßende und vor allem oft genug unbezahlte Leistung des einzelnen Arbeiters, Angestellten oder der Arbeitsgruppe auf der untersten Ebene. "Würde wegen jeder Störung erst der betriebliche Dienstweg beschritten werden, so käme die Produktion bald ins Stocken."

Größere Freiheit und Selbstbestimmung

Fachwissen und Können, Zuverlässigkeit und Kooperationsfähigkeit, Erfahrung und Reaktionsvermögen sind Qualifikationen von Mitarbeitern auch in nachgeordneten und ausführenden Tätigkeiten. Mitarbeiter wissen, was sie können und was sie wert sind. Sie wollen mitplanen und mitentscheiden; sie wollen ihre Initiativen und Vorschläge berücksichtigt sehen. Die Mitarbeiter sind dank besserer Ausbildung und höherer Qualifizierung kritischer als früher. Das Vertrauen in die Amtsautorität, der Glaube an die Überlegenheit der Führungskräfte ist stark erschüttert. Der Führungsstil muß die gewandelten Bedingungen des Managements widerspiegeln: Er muß den Mitarbeitern die Möglichkeit einer individuellen Entwicklung ihrer Persönlichkeit, einer Selbstverwirklichung individueller Belege in der Arbeit und durch die Arbeit bieten.

Diese soziale Entfaltung des einzelnen wird zunehmend das Bedürfnis verstärken, auch in der Firma, in Gruppen tätig zu sein. Teamarbeit verdrängt die Einzelarbeit. Kooperative Arbeitsformen lösen die straffe Hierarchie auf.

Zusammenarbeit im Team setzt Eigeninitiative frei. Der Mitarbeiter wird als Leistungsträger mit eigenen Interessen und Motiven anerkannt. Die Leistungsfähigkeit erhöht sich. Ergebnisse kooperativer Arbeit sind besser und befriedigender als die der straffen Lenkung. Daher ist das Denkschema "Mitarbeiter sind nicht leistungswillig und -fähig, arbeiten besser unter Druck" umzuformulieren. Es muß richtiger heißen: "Mitarbeiter sind leistungswillig und -fähig, wenn sie richtig angesprochen und beteiligt werden."

Das erfordert einen neuen Führungsstil, der entsprechend dem gesellschaftlichen Wandel dem Mitarbeiter mehr Freiheit, mehr Initiative einräumt.

Dazu war in einer Denkschrift der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände schon 1963 zu lesen: "Streng autoritäre Führungsmethoden sind heute kaum mehr angebracht... Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, ist infolge der veränderten selbstbewußten Haltung der Menschen größer als früher. Daher wäre es falsch, wertvolle Initiative durch Beschneidung der Selbständigkeit und Einengung des Verantwortungsspielraumes lahmzulegen, zumal die Technik immer mehr verantwortliches Handeln vieler fordert."

Kreativität

Das "Gefühl der Freiheit bei der Arbeit" ist eine wichtige Voraussetzung für Leistung. Generelle Richtlinien und Leistungsziele, nicht Anweisungen bis ins Detail, ermöglichen stärkere Beteiligung, führen zu einem höheren Engagement der Mitarbeiter, wecken Interesse an der Arbeit und mehr Eigenverantwortung. Je größer der Druck, desto schwerer fällt es dem Untergebenen, dem Vorgesetzten neue Ideen und Verbesserungsvorschläge mitzuteilen.

Mitarbeiter, die mitdenken können und Einfluß auf die Arbeitsbedingungen haben, finden häufig bessere Lösungen. Bessere Lösungen finden heißt: kreativ sein. Kreativität, ein neues Schlagwort unserer Zeit? Die Psychologie sieht im Denkprozeß drei Ansatzmöglichkeiten für Kreativität:

1. Neue Probleme müssen gesehen, Unstimmigkeiten und Spannungen wahrgenommen werden;

2. Neue Vermutungen, neue Hypothesen über das Problem müssen aufgebaut werden;

3. Neue Lösungen, neue Mittel müssen gefunden werden.

Kreatives Verhalten der Mitarbeiter ist in vielen Betrieben dadurch gestört, daß es "etablierte Problemlöser" gibt (Vorgesetzte, Stäbe). Diese kommen aber häufig nicht an den Arbeitsplatz und sprechen nicht mit den Mitarbeitern, bei denen die Probleme auftauchen. Sie beziehen die betroffenen Mitarbeiter nicht in den Problemlösungsprozeß ein. Soziale Kreativität ist gefordert.

Häufig haben sie Angst, solche Kontakte aufzunehmen, denn man könnte erleben, daß Mitarbeiter das Problem an Ort und Stelle sehr viel schneller und besser lösen würden. Neue und bessere Lösungen durch kreatives Verhalten bedeutet auch: Bessere Anpassung an sich immer schneller ändernde Situationen in Betrieb und Gesamtwirtschaft.

Die umgekehrte Betriebspyramide.

Die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung zeigt folgende Trends: Die Unternehmungen wachsen, die leistungsstarken Unternehmen schlucken die kleinen. Durch die Konzentration entstehen größere Einheiten. Betriebe greifen über die Staatsgrenzen hinaus, internationale Kapitalverflechtungen bilden sich. Tag für Tag werden technische Neuerungen erfunden. Die Märkte werden größer und schwieriger zu überblicken. Die internationale Marktkonkurrenz nimmt zu. Mit immer komplexeren Anforderungen müssen die Führungskräfte und Mitarbeiter in Unternehmen fertig werden. Der Umfang der Aufgaben wächst, die Aufgaben ändern sich aber auch schneller.

Wirksames und humanes Management

Leistungen und Erfolg von Unternehmen und öffentlicher Verwaltung sind unter anderem davon abhängig, wie die Menschen im Betrieb ihre Fähigkeit entfalten. Die Mitarbeiter verlangen wirksames und menschlich zuträgliches Management zugleich. Wirksames Management bedingt das Beherrschen neuer Managementtechniken; menschlich zuträglich, humanes Management baut auf psychologischen, soziologischen und sozialpsychologischen Kenntnissen auf.

Der veränderte Führungsstil ermöglicht - entsprechend dem Wandel der Gesellschaft - dem Mitarbeiter in Unternehmen größere Freiheit und Selbstbestimmung, stärkere Initiative, Kommunikation und Kreativität. Dies sollte nicht dazu dienen, allein den Arbeitsablauf funktionsgerechter zu gestalten, sich für bestimmte Führungstechniken zu entscheiden und die autoritäre Befehlsstruktur im übrigen unangetastet zu lassen. Selbstbestimmung, Kommunikation und Kreativität sind grundlegende Voraussetzung - für die Mitbeteiligung der Mitarbeiter an wichtigen Entscheidungsprozessen, für die Ablösung des stummen Befehlsempfängers.

Ziel muß es sein, die Unternehmenspyramide umzukehren, indem die Führungskräfte gezielt dazu beitragen, daß die Mehrzahl der Beschäftigten mitdenkende und nicht nur ausführende Mit-Arbeiter sind.

Die Sozialpsychologie hat den Nachweis erbracht, daß Fremdbestimmung und Eintönigkeit in der Arbeitswelt zu politischem Desinteresse und Teilnahmslosigkeit der Bürger führen. Daher hat eine Veränderung der Rolle der Mitarbeiter - ausgelöst und gefördert durch den Wandel der Gesellschaft - auch wieder Rückwirkungen auf die Gesellschaft.


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