125 Jahre IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 16/1997, Seite 67 ff.


INTERVIEW


Badwelt Hamm

Handwerk und Handel - neuer "Point of Sale"

Badwelt Hamm, eine Interessengemeinschaft von Innungsmitgliedern und ansässigen Großhändlern, im westfälischen Hamm, öffnete im Juli die Tore zu ihren endverbraucherorientierten Verkaufsmärkten. Die Sicht des Hauptgeschäftsführers Dr. Hans-Georg Geißdörfer, Fachverband SHK Nordrhein-Westfalen, zu dieser Initiative, schildert das folgende Interview, das IKZ-HAUSTECHNIK-Redakteur Volkmar Runte führte.

IKZ-HAUSTECHNIK: Für den Beobachter der Branche kommt diese Entwicklung nicht unerwartet, gibt es im Bundesgebiet doch mittlerweile zahlreiche Initiativen des dreistufigen Vertriebswegs mit der Zielsetzung, den Abverkauf von SHK-Produkten anzukurbeln und das Einzelhandelsgeschäft gegenüber den Baumärkten zu stärken. Wie ist die Meinung des Hauptgeschäftsführers des SHK-Fachverbandes Nordrhein-Westfalen zu dieser neuen Entwicklung?

Dr. Geißdörfer: Im Mittelpunkt des Handels steht in Zukunft der Markt, das müssen auch die Verbände des Handwerks für die Folgejahre deutlich sehen.

Initiativen müssen unterstützt werden, "weniger verwalten, mehr helfen", ist die Botschaft von Dr. Geißdörfer.

IKZ-HAUSTECHNIK: Was erwartet der Markt vom Handwerk?

Dr. Geißdörfer: Der Markt ist der Bestimmungsfaktor der Zukunft, dieser Markt verändert sich zunehmend von einem Verkäufermarkt zu einem Käufermarkt, das heißt, der Endverbraucher verfügt heutzutage über ein hohes Maß an Informationen und Wissen. Er erwartet Beratung, Qualität, Zuverlässigkeit und Einhaltung von Verträgen. Außerdem ist der Kunde sehr kritisch und aufgeklärt und nutzt alle Möglichkeiten der Information. Deshalb muß es mit Blick auf das SHK-Handwerk heißen: Vorsicht an der Bahnsteigkante!

"Vorsicht an der Bahnsteigkante!"

IKZ-HAUSTECHNIK: Was wollen Sie mit diesem Bild dem Handwerker vermitteln?

Dr. Geißdörfer: Es darf nicht sein, daß die Betriebe am Bahnsteig stehen, auf die Züge warten, die dann vollbesetzt vorbeirauschen und dem Handwerk bleibt nur noch ein bescheidener Nachtrag, wenn ein Bummelzug einfährt.

IKZ-HAUSTECHNIK: Welche Kriterien halten Sie für notwendig, um dem Handwerk die entsprechenden Marktanteile zu sichern?

Dr. Geißdörfer: Der Betrieb muß qualitativ hochwertige Leistungen absetzen können. Dazu ist ein fairer Wettbewerb, ein angemessener Preis und ein investitionsbereiter Kunde notwendig.

IKZ-HAUSTECHNIK: Wie paßt diese Aussage zur Gründung der Badwelt?

Dr. Geißdörfer: Die Badwelt ist eine Antwort auf die Herausforderungen des Marktes. Was andere, große Konzerne mit ihren Konstruktionen können, das setzen die Handwerker besser um. Es hilft nicht zu jammern, sondern, wie hier geschehen, anzupacken und die sich bietenden Chancen zu nutzen.

Für den Baumarktkunden bietet die Badwelt eine Alternative zu den DIY-Märkten. Gleichzeitig wird der dreistufige Vertriebsweg erhalten. Konstruktionen innerhalb des bestehenden Vertriebswegs, Handel, Handwerk und Industrie sind also möglich und umsetzbar, das ist der Kern des Kooperationsmodells.

IKZ-HAUSTECHNIK: Wie ist das Unternehmen Badwelt organisiert?

Dr. Geißdörfer: Als Unternehmensform wählten die 40 SHK’ler die GmbH & CO. KG. Die Badwelt Hamm ist eine Marketing- und Vertriebsgesellschaft von selbständigen Handwerkern der Innung Hamm. Die Badwelt ist keine Vertriebsform des Großhandels, kein Industrie-Fabrikverkauf, kein Franchise-Unternehmen und auch kein Einkaufsverbund.

IKZ-HAUSTECHNIK: Wie erfolgt der Abverkauf der Waren und wo befindet sich der "point of sale"?

Dr. Geißdörfer: In Hamm bietet sich die idealtypische Voraussetzung, daß innerhalb einer "Bannmeile" vier Großhändler angesiedelt sind und in jedem dieser Großhandelshäuser wird in separaten Verkaufsräumen das Tagesgeschäft erledigt.

40 konzessionierte Handwerksunternehmen haben diese GmbH gegründet, sie ist somit eine Initiative des Handwerks. Das traditionelle Großhandelsgeschäft bleibt erhalten, es wird parallel das Geschäft an jedermann durchgeführt und für die Badwelt fakturiert, die Bezahlung erfolgt über die Theke.

Bedenkenträger gab es schon immer, diese Situation, etwas totzureden, ist für Geißdörfer nichts Neues.

IKZ-HAUSTECHNIK: Was bietet die Badwelt dem Kunden, wo liegen die Vorteile?

Dr. Geißdörfer: Zielrichtung ist es, zusätzliche Kunden aus dem Baumarktbereich zurückzuholen. Dies wird durch ein Angebot sichergestellt, welches Waren liefert, Waren mit Montage und gegebenenfalls auch eine Finanzierung bietet und dies zu festen Preisen und festen Terminen. Hier kann der Kunde alles, was der SHK-Markt bietet, erwerben und dazu in qualitativ hochwertiger Ausführung und mit Gewährleistung. Hinzu kommt, daß der Badwelt-Kunde kompetent beraten wird und eine Vielzahl von Artikeln direkt mitnehmen kann oder er sie geliefert bekommt, also keine Wartezeit von mehreren Wochen.

IKZ-HAUSTECHNIK: Von vielen Handwerkern wird diese Verlagerung des "point of sale" zum Großhandel abgelehnt. Und zwar mit der Argumentation: Wenn die Initiative gut läuft, könnte der Großhandel das Geschäft an sich ziehen und somit wäre der Verkauf zum Großhandel gewandert. Der Einzelhandel wäre dann nur mit großem Aufwand zu reorganisieren. Außerdem arbeite dieses Konzept gegen die verkaufsaktiven Handwerker. Welche Meinung vertreten Sie als Hauptgeschäftsführer des Verbandes?

Dr. Geißdörfer: Keine Tonne Papier, auch an Verträgen, kann das Vertrauen ersetzten, das bei handelnden Personen im täglichen Geschäft gegeben sein muß. Wir als Verband schätzen diese Problematik nicht so ein, denn erstens ist es eine durch Handwerker gebildete Gesellschaft und zweitens ist die Badwelt keine Konkurrenz zu den Badstudio’s usw., sondern wir sehen sie als Ergänzung. Es ist eine "sowohl als auch" Handelssituation entstanden, die aber voll durch die Handwerksseite abgedeckt wird. Jedes dieser Konzepte kann parallel funktionieren - Ziel ist es, Marktanteile zurückzugewinnen.

"Keine Tonne Papier kann Vertrauen ersetzen"

IKZ-HAUSTECHNIK: Sind Sie davon überzeugt, daß sich dieses Konzept durchsetzen wird, obwohl soviel Unsicherheit auf beiden Seiten besteht, denn immerhin mußten über 50% der Innungsmitglieder dieser Initiative beitreten - dies war Vorbedingung durch den Großhandel?

Dr. Geißdörfer: Bedenkenträger hat und wird es immer geben, das wird uns aber nicht daran hindern, dieses Konzept weiterzuverfolgen. Die Signalwirkung Hamm, die Aktivitäten am linken Niederrhein - bei elf Innungen 850 Betriebe einzubeziehen - und die Diskussion in Ostwestfalen haben die Teilnehmer auf der jüngsten Klausurtagung der Obermeister in Nordrhein-Westfalen beflügelt, meinem Vorschlag zu folgen und eine "Arbeitsgemeinschaft Badwelt" einzurichten. Und zwar mit folgender Zielsetzung. Erstens: Wir wollen versuchen, daß dieses Badweltmodell flächendeckend in NRW eingeführt wird. Zweitens: Es ist ein Signal an den Kooperationspartner Großhandel, eigene Überlegungen zurückzustellen und der Verbandslinie zu folgen und drittens ist es natürlich ein Signal für andere Bundesländer, entsprechende Aktivitäten zu entwickeln.

IKZ-HAUSTECHNIK: Heißt das, daß Sie eine Kanalisierung zu einem Modell anstreben und dieses über den Verbandsbereich hinaus Anwendung finden soll?

Dr. Geißdörfer: Einigung auf ein Marktmodell bedeutet, gemeinsam machen wir mehr Markt. Ja, es könnte eine Signalwirkung stattfinden, denn wir haben innerhalb weniger Tage zahlreiche Anrufe erhalten, die in diese Richtung gingen, das Interesse ist überaus groß.

Wichtig erscheint mir auch hier eine Positionierung verbandlicher Interessen, denn diese Modelle müssen begleitet und unterstützt werden durch das Know-how der Verbände. Insofern ergibt sich eine neue Aufgabenstellung der SHK-Verbände nach der Devise: Weniger verwalten, mehr helfen. Wir müssen für Betriebe, die kräftig Beiträge zahlen, auch entsprechende Antworten und Konzepte für den Markt bereithalten.

Auch für die Thematik der neuen Energiedienstleistungen, GVU - Stadtwerke, müssen wir zu Modellen kommen, die den regionalen Charakter verlassen. Die Betriebe müssen sich auf Leitlinien verlassen können und es obliegt den Verbänden, diese Dinge exakt durchzuprüfen und marktfähig auszugestalten. Badwelt ist ein Teil, ein Mosaikstein einer Gesamtpalette, die auch verstärkt betriebswirtschaftliche und rechtliche Lösungen für die Betriebe beinhalten muß.


Persönliches

Dr. Hans-Georg Geißdörfer, Hauptgeschäftsführer des Fachverbandes SHK Nordrhein-Westfalen.

1968, kurz nach seiner Promotion zum Doktor rer. pol. an der Universität Münster, wurde Dr. Geißdörfer Assistent des Präsidiums und der Hauptgeschäftsführung der Handwerkskammer Münster. 1972, mit 31 Jahren, wurde er Geschäftsführer an der Handwerkskammer Münster und damit einer der jüngsten Geschäftsführer in der Handwerksorganisation.

Bis 1977 war er Referent des legendären Handwerkspräsidenten Paul Schnittker, Präsident der Handwerkskammer Münster und des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks.

Dann wechselte er 1978 als frischgebackener Hauptgeschäftsführer zum Fachverband Sanitär Heizung Klima Nordrhein-Westfalen.

Geißdörfers Mut zu neuen Ideen ist bekannt; so beispielsweise die Gründung des FSI (Förderverein der Sanitärindustrie, des Sanitärfachgroßhandels und des Sanitärhandwerks).

Er selbst nennt sich einen "unbequemen Westfalen", besonders beim Skatspiel.

Geißdörfer ist fest davon überzeugt, daß auch ein Verbandshauptgeschäftsführer ein politisch denkender Mensch sein muß. Die staatlichen Rahmenbedingungen müssen für den Mittelstand stimmen, sonst ist jede Mühe umsonst.

Sportliche Hobbies: Fahrrad fahren, Tennis in der Altherrenmannschaft seines Vereins, Turngemeinde Münster (einer der größten Sportvereine mit über 3000 Mitgliedern).

Seine Bibliothek ist ein Leckerbissen für jeden; er liest sehr viel.


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