IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 6/1997, Seite 85 ff.


HEIZUNGSTECHNIK


Überströmventil und Brennwertnutzen

Dipl.-Ing. Gerd Böhm

Überströmventile werden eingesetzt, um Strömungsgeräusche stark drosselnder Thermostatventile zu vermeiden oder um bestimmte Mindestvolumenströme einzuhalten. Ein geradezu klassisches Einsatzgebiet finden Überströmventile seit jeher in Verbindung mit geringvolumigen Wandkesseln oder Thermen. Durch die rasante Zunahme der Brennwertnutzung innerhalb dieser Produktgruppe (Bild 1) gibt es jedoch Stimmen, die die Brennwerteffizienz bei Einsatz von Überströmventilen in Frage stellen oder sogar pauschal abstreiten [1].

Bild 1: Ungefährer Verlauf der Marktentwicklung wandhängender Heizgeräte in Deutschland.

Aussagen dieser Art erfordern eigentlich keinen Kommentar, da der Nachweis hervorragender Praxistauglichkeit längst geführt ist. Besonders umfangreich und sorgfältig sind z.B. die von der Ruhrgas AG von 1982 bis 1986 - also über vier Heizperioden hinweg - an sieben Praxisanlagen vorgenommenen Messungen, die Jahresnutzungsgrade von über 102% ausweisen (Bild 2). Und das für Brennwertkessel des damaligen produkttechnischen Standes [2].

Bild 2: Teilergebnisse aus sieben Objektmessungen der Ruhrgas AG.

Die untersuchten Objekte repräsentieren den typischen "Althausbestand" und damit den auch heute noch dominierenden Einsatzbereich neuer Kessel. Sie entsprechen natürlich nicht heutigen Niedrigenergiehäusern. Da hier die Volumenströme sowieso schon relativ niedrig sind und durch zusätzliches Abschalten von Heizflächen in der Übergangszeit oder Drosseln der Thermostatventile noch weiter gemindert werden, könnte das Überströmventil tatsächlich eine negative Wirkung haben, denn es führt, so das Argument, zu einer Anhebung der Kesselrücklauftemperatur und damit Beeinträchtigung oder gar Totalausfall der Brennwertnutzung (Bild 3). Außerdem soll sich die Zahl der Brennerschaltungen erhöhen, wenn modulierende Geräte unterhalb der minimalen Brennerleistung intermittierend arbeiten (ein- und ausschaltend) wie z.B. der GB112-24/W des Herstellers Buderus bei weniger als ca. 6 kW Leistungsabnahme (Bild 4).

Bild 3: Das Ansprechen des Überströmventils bewirkt zwar eine Anhebung der Kesselrücklauftemperatur, beeinflußt aber nicht die Brennwertnutzung.

Daß die Schlußfolgerung - höhere Rücklauftemperatur gleich weniger Brennwertnutzen - vorschnell und oberflächlich ist, wird schnell offensichtlich: Es braucht nur die Überlegung, ob ein Brennwertkessel mit 80°C Abgastemperatur bei 35°C Rücklauftemperatur bessere Kondensationsbedingungen hat als ein solcher mit 45°C Abgastemperatur und 40°C Rücklauf. Wie Bild 5 zeigt, ist zwar eine unterhalb der Taupunkttemperatur befindliche Kesselrücklauftemperatur zwingende Voraussetzung für die Brennwertnutzung, deren Effektivität wird aber vom Temperaturprofil im Heizgasströmungsquerschnitt, d.h. von der Temperaturdifferenz D W (Taupunkttemperatur minus Rücklauftemperatur) und D A (Abgastemperatur minus Rücklauftemperatur) bestimmt. Je größer das Verhältnis D W/D A, um so günstiger die Brennwertnutzung. Es ist deshalb grundsätzlich möglich, daß ein Brennwertkessel mit Überströmung besser ist als ein anderer ohne Überströmung. Es gibt eben verschiedene Möglichkeiten, ein Ergebnis zu verbessern. Jedenfalls sind niedrigere Abgastemperaturen ein besseres Indiz für hohen Brennwertnutzen als niedrigere Rücklauftemperaturen.

Bild 4: Gas-Brennwertkessel GB112W - In der Baugröße 24/W moduliert der Brenner zwischen 21,4 kW und 6,4 kW (Heizkurve 75/60 °C).

Das Niedrigenergiehaus bringt zweifellos bestimmte Eigenheiten mit sich, die am besten praktisch untersucht werden. Allerdings ist diese Inaugenscheinnahme meßtechnisch sehr aufwendig und keineswegs mit dem Unterstellen eines Kondenswassermeßbechers getan. Die Bilder 6 bis 9 zeigen Temperaturgänge des Wand-Brennwertkessels GB112-24/W, mit 21,4 kW bis 6,4 kW reichendem Modulationsbereich, unter verschiedenen Betriebsbedingungen. Den Messungen ist die Situation eines Gebäudes mit 6 kW Normheizleistungsbedarf und der diesem Standard entsprechenden Heizkurve 55°C/40°C als Vor- und Rücklauf zugrundegelegt. Für den GB112-24/W bedeutet das einen Betrieb außerhalb seines Modulationsbereichs und bei extrem geringer Auslastung.

Bild 5: Sobald die Rücklauftemperatur unter den Taupunkt sinkt, wird die Brennwerteffektivität vom Temperaturprofil im Heizgasströmungsquerschnitt bestimmt.

Bild 6 zeigt die Temperaturgänge von Kesselvorlauf, Heizkreisrücklauf und Abgas bei 2,4 kW Gebäudeheizbedarf, also 40% Gebäude- und 11% Kesselauslastung. Alle Heizkörperventile sind geöffnet, der Nennvolumenstrom beträgt 344 l/h. Die extrem niedrige Abgastemperatur von maximal 30°C bei 28°C Rücklauftemperatur läßt schon optisch auf hohe Brennwertnutzung schließen. Dies wird auch mit 107,4% Nutzungsgrad bestätigt. Der Brenner weist zwölf Schaltspiele je Stunde auf.

Bild 6: Temperaturgänge bei 2,4 kW; Volumenstrom 344 l/h.

Bild 7 - Hier ist dieselbe Ausgangssituation, aber mit starker Fremdwärmeeinwirkung, z.B. Sonneneinstrahlung, gegeben. Der Volumenstrom ist durch Stillegen von 70% der Heizflächen auf 103 l/h reduziert. Die abgenommene Heizleistung beträgt nur noch 0,9 kW und der Kesselnutzungsgrad 107,6%. Die Brennerschaltungen gehen auf 4,6 je Stunde zurück, was auch theoretisch nicht anders zu erwarten ist, da sich die Brenner-Aus-Zeiten bei geringerer Wärmeabnahme verlängern.

Bild 7: Leistungsabnahme 0,9 kW bei 70% Heizflächenstillegung; Volumenstrom 103 l/h.

Bild 8 zeigt die ähnliche Situation wie Bild 7, aber unter Einsatz eines Überströmventils, das 200 l/h im Kesselkreis kurzschließt. Deutlich ist der Einfluß auf die Kesselrücklauftemperatur zu sehen. Unabhängig dazu verhält sich die Abgastemperatur, die trotz höherem Kesselrücklauf nur etwa 3 K über Heizkreisrücklauf liegt. Dies ist ein klarer Gegensatz zu theoretischen Erwartungen. Die Unabhängigkeit folgt aus der Phasenverschiebung zwischen den Temperaturgängen sowie thermischen Trägheiten wärmeaufnehmender und wärmeabgebender Metallmassen. Ebenfalls unabhängig von der Überströmung zeigt sich die Häufigkeit der Brennerschaltungen mit 4,1 je Stunde.

Bild 8: Leistungsabnahme 0,7 kW bei 70% Heizflächenstillegung und Eingriff eines Überströmventils; Volumenstrom im Kesselkreis 200 l/h.

Wiederum ist die extrem niedrige Abgastemperatur Indiz für hervorragende Brennwertnutzung, was auch der Nutzungsgrad von 103,4% bestätigt. Der Unterschied von 4 Punkten gegenüber der Situation ohne Überströmung rührt aus der bei dieser Messung nochmals geringeren Auslastung. Es werden nur noch 0,7 kW Heizleistung abgenommen, was 3% Kesselauslastung entspricht. In Relation zu dieser geringen Abnahme fällt der Kesselbereitschaftsverlust deutlicher ins Gewicht. Die 4 Punkte Unterschied zu Bild 7 bedeuten also keineswegs eine geringere Brennwertnutzung. Dies ist leicht zu verstehen und quantitativ nachvollziehbar, wenn der Einfluß des Kesselbereitschaftsverlustes abgetrennt wird. Am einfachsten geschieht das über die Nutzungsgradgleichung

 

h K = Kesselwirkungsgrad in %

h N = Nutzungsgrad in %

j = Kesselauslastung als Dezimalzahl

qB = Bereitschaftsverlust als Dezimalzahl

Im Kesselwirkungsgrad steckt der Abgasverlust qA und der Strahlungsverlust qS. Bei vollständiger Brennwertnutzung (gegeben, wenn Abgastemperatur = Temperatur der angesaugten Verbrennungsluft) ist der Abgasverlust gleich Null und h K erreicht seinen theoretischen Maximalwert. Mit Erdgas H und der üblichen auf Hu bezogenen Schreibweise ist

h K = 111% - qS

Im vorliegenden Betriebsfall kann der Strahlungsverlust mit etwa 0,5% angenommen werden. Maßstab vollständiger Brennwertnutzung ist somit

h K, max. = 111% - 0,5% = 110,5%

Der Nutzungsgrad h N ist hier mit 103,4 % gegeben, wie auch die Auslastung j mit 3% (bzw. 0,03). Der Bereitschaftsverlust qB des GB112 kann für die nach Bild 8 abschätzbare, mittlere Kesseltemperatur mit 0,18% (bzw. 0,0018) angesetzt werden. Damit ist

h K = 103,4 [(1/0,03 - 1) · 0,0018 + 1]= 109,4%.

Verglichen mit dem theoretisch Möglichen kann hier von praktisch vollständiger Brennwertnutzung gesprochen werden, was ja auch bei Abgastemperaturen kaum über 25°C nicht anders zu erwarten ist.

Bild 9: Leistungsabnahme 2,2 kW bei 70% Heizflächenstillegung und Eingriff eines Überströmventils.

Die Unabhängigkeit der Temperaturgänge von Kesselrücklauf und Abgas belegt optisch noch besser Bild 9, das die Situation bei höherer Heizleistungsabnahme, hier etwa 2,2 kW, zeigt.

In Bild 10 sind die Ergebnisse zusammen mit den Meßpunkten zur Ermittlung des Normnutzungsgrades dargestellt. Bedenkt man, daß bei Auslastung gleich 0% der Nutzungsgrad ebenfalls 0% sein muß, ergibt sich eine Vorstellung davon wie hoch 103% Nutzungsgrad bei 3% Auslastung zu bewerten sind!

Auch ist das ein eindrucksvoller Beweis für die weitestgehende Unabhängigkeit von Kesselleistung und Kesselwirtschaftlichkeit, was sicher nicht zuletzt dem geringen Kesselvolumen zu verdanken ist, denn physikalisch nachteilig ist eine "Überdimensionierung" nicht in bezug auf die Leistung, sondern in bezug auf die wärmeabgebende Oberfläche. Die oftmals erhobene Forderung nach kleinen Leistungen für das Niedrigenergiehaus müßte - physikalisch korrekt - eine Forderung nach kleinen Oberflächen und damit auch kleinen Kesselvolumen sein.

Bild 10: Teillastnutzungsgrade des GB112-24/W zur Ermittlung des Normnutzungsgrades und des Betriebsverhaltens bei geringer Auslastung.

Alle Untersuchungen - die Bilder 6 bis 9 zeigen nur einen kleinen Ausschnitt umfangreicher Messungen der Fachhochschule Köln (Fachbereich Versorgungstechnik, Heizungslaboratorium Prof. Dr. Ing. K. Sommer und Dipl.-Ing. W. Polkow) - weisen eindrucksvoll nach, daß weder die Bedingungen des Niedrigenergiehauses noch das funktionelle Eingreifen von Thermostat- oder Überströmventilen die hohe Effektivität geringvolumiger Wand-Brennwertkessel schmälern oder gar in Frage stellen. Eher ist sogar das Gegenteil der Fall, wie die zurückgehende Schalthäufigkeit des Brenners oder die zunehmende Gewichtung der Oberflächenverluste bei den extrem geringen Wärmeabnahmen zeigen. Großvolumige Wärmeerzeuger bringen in diesem Fall die schlechteren Voraussetzungen mit (was nicht unbedingt bedeutet, daß sie schlechter sein müssen, denn, wie schon gesagt, gibt es meist mehrere Möglichkeiten, die Dinge zu beeinflussen, hier z.B. über eine aufwendigere Wärmedämmung).

Offensichtlich haben geringe Leistungsbedarfe sehr differenzierte, die Wirtschaftlichkeit und andere Betriebsparameter beeinflussende Begleiterscheinungen zur Folge, vor allem auch die einer Nivellierung der Bedeutsamkeiten. Ein Beispiel: Der in Verbindung mit dem Niedrigenergiehaus manchmal als "kritisch" hingestellte Teillastbereich 25% der Normleistung und weniger umfaßt etwa 15% des jährlichen Wärmebedarfs. Bei 6 kW Normheizleistung und 1500 Vollbenutzungsstunden (im Niedrigenergiehaus aufgrund des hohen Fremdwärmeeinflusses wahrscheinlich ein zu hoher Wert) entspricht das der Brennstoffmenge

6 kW · 1500 h · 0,15/10 kWh/m3 = 135 m3 (Erdgas H)

Ein optisch sicher als außerordentlich bedeutsam empfundener Nutzungsgradunterschied von 107% zu 95% nivelliert sich zu

135 m3 · (1/0,95 - 1/1,07) = 16 m3 Gas im Jahr

Außer an der Gebrauchstauglichkeit gibt es da wirklich nichts zu optimieren.


B i l d e r : Buderus Heiztechnik


L i t e r a t u r :

[1] Stock, H; Wolff, D.: Entwicklungstendenzen in der Regelungstechnik von Heizungsanlagen. Wärmetechnik 12/1995.

[2] Jannemann, T.: Brennwertkessel im Feldversuch: Praxiserfahrungen über vier Heizperioden. Gas, Heft 2/88.


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