IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 11/1996, Seite 57 ff.


LÜFTUNG


Entscheidungsfindung bei Lüftungssystemen im Wohnungsbau

Ergebnisse eines holländischen Marktforschungsprojektes

Dipl.-Ing. Peter Op ’t Veld*

In den Niederlanden war auf vielerlei Weise versucht worden, den Einbau moderner, energieeinsparender Lüftungssysteme im Wohnungsbau zu forcieren und zu standardisieren. Dies betraf vor allem mechanische Zu-/Abluftsysteme mit Wärmerückgewinnung. Ein- oder Mehrzonen-Luftheizungssysteme mit Wärmerückgewinnung sowie multifunktionale Anwendungen (Kombisysteme für Heizung, Warmwasserbereitung und für Lüftung mit Wärmerückgewinnung aus Fortluft und Abgasen).

Obgleich in den Niederlanden die Markteinführung während der letzten fünfzehn Jahre durch zahlreiche Demonstrationsprogramme und viel technische Forschungsarbeit gefördert wurde, stagniert die Zahl der Wohnungen, die mit Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung ausgestattet sind, bei einem oder zwei Prozent. Grund genug zu überlegen, wie ein höherer Marktanteil der oben genannten Lüftungsanlagen erreicht werden kann.

So initiierten die "Niederländische Agentur für Energie und Umwelt" (Novem) und das holländische TGA-Forschungsinstitut ISSO ein Marktforschungsprojekt mit dem vornehmlichen Ziel, die Gründe für die Auswahl und die Beurteilung bestimmter Lüftungsanlagen herauszufinden. Diese Forschungs- und Feldarbeit wurde von der R & M (Research and Marketing) durchgeführt.

Statiker und Architekten haben oft Probleme mit den Lüftungskanälen - ihren Abmessungen und Anordnungen.

Die Rahmenbedingungen für die Marktforschung

An verschiedenen Orten der Niederlande wurden Diskussionsrunden organisiert, zu denen mehrere am Wohnungsbau beteiligte Parteien eingeladen waren:

  • Generalunternehmer und Fachhandwerksbetriebe (zwei Gruppen)
  • Architekten (zwei Gruppen)
  • Hauseigentümer/Bauherren, vor allem Wohnungsbaugesellschaften (zwei Gruppen)
  • Die Diskussionen wurden von einem geübten und erfahrenen Diskussionsleiter ohne spezielle Fachkenntnis geleitet. Lüftungsexperten waren nicht unmittelbar an der Diskussion beteiligt, konnten aber im Zweifelsfall über ein zugeschaltetes Videosystem offene oder strittige Fragen klären bzw. berichtigen. Ziel der Diskussionsrunden war, herauszufinden,

  • welchen Stellenwert die Wohnungslüftung bei den beteiligten Gruppen einnimmt,
  • welche Argumente bei der Entscheidungsfindung zählen,
  • welche Art von Problemen bei der Einführung fortschrittlicher Lüftungsanlagen zu überwinden sind.
  • Die folgenden Bereiche wurden diskutiert:

    a) Lüftung im allgemeinen:

    - erste Gedanken
    - wie wichtig ist Lüftung?
    - in welcher Bauphase tritt die Lüftung auf den Plan?
    - Auswirkungen der Bauvorschriften

    b) Entscheidungsfindung:

    - welche Argumente
    - Kosten
    - technische Anforderungen
    - Energieverbrauch und Umwelteinflüsse
    - Design
    - Kosten für die Wartung der Anlage
    - Kosten für die Wartung des Gebäudes

    c) Wie soll man Lüftungsanlagen einstufen und beurteilen?

    d) Kenntnisstand bei mechanischen Zu-/Abluft- oder sonstigen modernen Lüftungssystemen

    Bei fast allen Teilnehmern waren die ersten Gedanken an Lüftungsanlagen kritischer Natur. Architekten zum Beispiel denken an die Schwierigkeiten mit den bauseitig angebrachten Öffnungen, die die architektonische Gestaltung der Fassaden beeinflussen. Generalunternehmer (und auch Architekten) kommen mit der Größe und der Anzahl der Luftschächte schwer zurecht. Wohnbaugesellschaften wiederum haben mit unterschiedlichem Lüftungsverhalten der Bewohner zu kämpfen. Alle beteiligten Gruppen sehen die Interaktion zwischen Bewohnern und dem Lüftungssystem als eines der größten Probleme an. Hier läßt sich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den zunehmenden Energieeinsparkampagnen seitens der Regierung und der Energieversorgungsunternehmen einerseits sowie einem zunehmend bewußten Lüftungsverhalten der Bewohner andererseits beobachten. Als weiterer Störfaktor wurde das Geräusch der Ventilatoren, das oft zum Abschalten der Lüftungsanlage führt, aufgezählt.

    Die Rolle der Lüftung im Bauprozeß

    Alle beteiligten Parteien stufen die Lüftung als einen mehr oder weniger wichtigen Faktor im Baugeschehen ein. Der Hauptgrund dafür ist allerdings nicht etwa das Bewußtsein von der Notwendigkeit guter Raumluftqualität und Gesundheit, sondern vielmehr die gesetzliche Regelung: Seit 1992 gelten in den Niederlanden neue Bauvorschriften, in denen die Leistungsanforderungen und Bestimmungsmethoden genau definiert sind. Das Interesse an der Lüftung beschränkt sich jedoch auf das Erreichen der vorgeschriebenen Mindestanforderungen. Eine zusätzliche Verbesserung der Luftqualität scheint nicht gerade Vorrang zu haben. Dies trifft für den sozialen Wohnungsbau ebenso zu wie für den privaten Bereich.

    Ein Wohnkomplex (400 Wohnungen) in Roermond, Holland. Ausgestattet mit Wohnungslüftung mit Wärmerückgewinnung zum besseren Schallschutz gegen Fluglärm.

    Einige Teilnehmer äußerten sich skeptisch gegenüber den "übertriebenen" Bauvorschriften und vor allem hinsichtlich der Bemühungen, diese Vorschriften einzuhalten, sowie über das Lüftungsverhalten der Bewohner, das viele Ergebnisse wieder zunichte machen kann.

    Auswahl der Lüftungsanlage

    Die Auswahl des Anlagentyps (natürliche Lüftung, mechanische Abluftsysteme, Zu-/Abluftsysteme oder noch weiterentwickelte Anlagen) wird in der Regel vom Bauherrn getroffen. In wenigen Ausnahmefällen steht der Architekt oder der Fachhandwerker (Lüftungsbauer) bei der Beurteilung der verschiedenen Anlagentypen beratend zur Seite, so zum Beispiel bei Bauprojekten in einer Umgebung mit hohem Geräuschpegel oder bei wärmetechnischen Sanierungen. In manchen Städten und Gemeinden müssen auch spezielle Programme und Anforderungen hinsichtlich Energie- und Umweltaspekten erfüllt werden.

    Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, müssen bestimmte Techniken eingesetzt werden wie etwa der Einbau von Zu-/Abluftanlagen mit Wärmerückgewinnung, die (luftdichte) Versiegelung der Gebäudehülle oder die passive und aktive Nutzung von Sonnenenergie.

    Generalunternehmer und Fachbetriebe aus der Lüftungsbranche bauen dann das vom Bauherrn verlangte Lüftungssystem ein, das heißt, sie haben auf die Auswahl des Anlagentyps keinen Einfluß. Vom Generalunternehmer wird allerdings derjenige Fachbetrieb mit dem Einbau betraut, der das günstigste Angebot abgibt, und dies spiegelt sich meist in der Qualität der verwendeten Bauteile wider.

    Die Mehrzahl der Diskussionsteilnehmer gab an, daß - vor allem im sozialen Wohnungsbau - die Auswahl des Lüftungstyps vorwiegend im Hinblick auf die Erfüllung der Mindestanforderungen der Bauvorschriften und in Abhängigkeit vom finanziellen Spielraum des Bauherrn erfolgt. Das Budget für neu zu erstellende Sozialwohnungen ist begrenzt, während für die wärmetechnische Sanierung bestehender Gebäude mehr Mittel zur Verfügung stehen. Eine weitere Tatsache ist, daß die Entscheidungsträger, die mit wärmetechnischer Sanierung befaßt sind, sich der auftretenden Probleme in Zusammenhang mit schlecht funktionierenden Lüftungssystemen viel eher bewußt sind.

    In der Praxis sieht das also so aus, daß für die meisten Neubauten solche Lüftungssysteme ausgewählt werden, mit deren Hilfe den Mindestanforderungen der Baugesetze gerade mal entsprochen werden kann und die dafür auch am billigsten sind. Bei der wärmetechnischen Sanierung hingegen scheint der Qualität der Anlage größere Bedeutung zuzukommen.

    Trotz dieser eher negativen Schlußfolgerung waren sich die beteiligten Wohnbaugesellschaften der Probleme, die durch das Preisdiktat bei der Auswahl der Anlage und der Bauteile entstehen, bewußt.

    Die Wartungsmöglichkeiten einer Lüftungsanlage sowie das falsche Lüftungsverhalten der Bewohner und auch die durch schlecht funktionierende Lüftungsanlagen entstehenden zusätzlichen Kosten (Schimmelbildung, Kondensation etc.) rücken mehr und mehr ins Bewußtsein.

    Kriterienkatalog für die Beurteilung eines Lüftungssystems

    Alle Teilnehmer wurden befragt, welche Kriterien bei der Beurteilung einer Lüftungsanlage für sie eine Rolle spielten. Es ergaben sich folgende Kriterien:

  • Raumluftqualität
  • Energieverbrauch
  • Thermische Behaglichkeit
  • Auswirkungen auf die Umwelt
  • Geräuschpegel der Ventilatoren
  • Geräuschkulisse der Umgebung
  • Bedienerfreundlichkeit
  • Wartung
  • Einbau
  • Akzeptanz bei den Bewohnern
  • Einpassung in die Fassadengestaltung
  • Als wichtigstes Kriterium kristallisierte sich bei allen Befragten die thermische Behaglichkeit heraus, gefolgt von der Lärmbelästigung und der Raumluftqualität. Vorrangig ist auch - vor allem für Wohnbaugesellschaften - die Akzeptanz auf seiten der Bewohner. Wartung und Bedienerfreundlichkeit spielen in dieser Gruppe ebenso eine Rolle. Bei den Architekten muß sich das Lüftungssystem in das architektonische Gesamtgefüge einbinden lassen. Aus diesem Grund wird von Architekten die "natürliche" Lüftung (womit hier fensterintegrierte Lüftung und Lüften, nicht aber Lüftung durch Zuluftöffnungen gemeint ist).

    Energieverbrauch und Umweltbelastung wurden von den meisten Gesprächsteilnehmern als weniger wichtig erachtet. Laut Vertretern der Wohnbaugesellschaften komme eine auf Wärmerückgewinnung zurückzuführende Energieeinsparung nur den Bewohnern zugute. Andererseits erhöht sich mit einem niedrigen Stromverbrauch auch die Rentabilität des Hauses, weil ja höhere Mieten verlangt werden könnten. Außerdem sind die Systeme, die der Bewohner selbst regeln kann (das heißt aus Stromspargründen abschalten kann) im Abnehmen begriffen.

    Straßenlärm war nur für die Teilnehmer, die in lauten Wohngebieten bauen, von Belang.

    Beurteilung von Zu-/Abluftsystemen mit Wärmerückgewinnung

    Die meisten Teilnehmer hatten schon von Zu-/Abluftsystemen und Wärmerückgewinnung gehört. Wie diese Technik genau funktioniert, wußten jedoch die wenigsten. Fast alle waren solchen Anlagen gegenüber abwehrend eingestellt, da hier - unabhängig vom Verhalten der Bewohner und vom Wetter - ein konstanter Volumenstrom aufrechterhalten wird. Aber es traten auch viele Fragen auf, Vorurteile wurden geäußert und auch von negativen Erfahrungen mit Zu-/Abluftsystemen wurde berichtet. Diese negativen Erfahrungen sind oft die Folge von schlechter Planung und Instandhaltung der Anlage.

    Nach wie vor werden jedoch die Investitionskosten als wichtigstes Argument gegen den Einbau einer Zu-/Fortluftanlage mit Wärmerückgewinnung aufgeführt. Nur wenn die Wärmerückgewinnung indirekt über die Baugesetzgebung vorgeschrieben ist, wird sie in größerem Stil eingebaut werden. (Dies bezieht sich auf das holländische Energie-Leistungs-Gesetz, in dem die Gesamtenergiebilanz von Gebäuden inklusive Installationen geregelt ist. Dieses Gesetz ist mehr oder weniger zu vergleichen mit der deutschen Wärmeschutzverordnung (WSchV) und ist zum Jahresende 1995 in Kraft getreten).

    Eine durchsanierte Wohnanlage in Veldhoven. 260 Wohnungen erhielten neue Fassaden und Wohnungslüftungssysteme mit Wärmerückgewinnung.

    Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel: In lärmbelasteten Gegenden beispielsweise werden mechanische Zu-/Abluftsysteme manchmal eingebaut, weil eine natürliche Lüftung mittels Öffnungen in der Gebäudehülle aus Lärmbelastungsgründen nicht realisierbar ist. Doch selbst in den Fällen, in denen der Einbau von Zu- und Abluftöffnungen möglich ist, können sich die Kosten für den Einbau einer mechanischen Zu-/Abluftanlage als niedriger erweisen als die Kosten für ebensolche Öffnungen und andere Lärmschutzmaßnahmen.

    Die Ergebnisse entsprechender Studien und Daten lagen zum Zeitpunkt der Gesprächsrunden zwar vor, doch keinem der Teilnehmer waren sie bekannt.

    Einige Repräsentanten der teilnehmenden Wohnbaugesellschaften sind sich der bestehenden Wechselwirkung zwischen den zusätzlichen Kosten für die Installation eines modernen Lüftungssystems und der damit verbundenen Senkung der zu erwartenden Wartungskosten, das heißt der Tatsache, daß die Folgekosten bei "guter" Lüftung niedriger sind, bewußt.

    Zusammenfassung

    Die Qualität einer Lüftungsanlage wird weniger von der Überzeugung von deren Notwendigkeit als vielmehr von den jeweils bestehenden Baugesetzen bestimmt.

    Für Generalunternehmer stellt Lüftung an sich ein "unwillkommenes Übel" dar, das sie mit dem Einbau einer möglichst billigen Anlage, die die Anforderungen gerade eben erfüllt, zu umgehen suchen.

    Architekten wiederum tun sich schwer, die notwendigen Lüftungsöffnungen in ihre Fassadengestaltung zu integrieren, während Wohnbaugesellschaften bezüglich Lüftungssystemen viele Probleme mit dem Lüftungsverhalten der Bewohner haben.

    Der Anlagentyp wird vom Bauherrn bestimmt. Der wichtigste Entscheidungsfaktor sind die Installationskosten. Der Zusammenhang zwischen Qualität der Anlage und Höhe der Wartungskosten für das Gebäude gelangt mehr und mehr ins Bewußtsein. Auch wird der Wartung von Lüftungsanlagen mehr und mehr Beachtung geschenkt.

    Als wichtigste Kriterien bei der Beurteilung von Lüftungsanlagen haben sich die Behaglichkeit, die Raumluftqualität und der Geräuschpegel herauskristallisiert, während der Stromverbrauch und eventuelle Auswirkungen auf die Umwelt nur nebensächlich sind.

    Die meisten Gesprächsteilnehmer sind der Meinung, daß die neuen holländischen Energiebilanz-Gesetze die Installation von modernen, energieeinsparenden Lüftungsanlagen vorantreiben werden.


    * Dipl.-Ing. Peter Op ’t Veld, Beratender Ingenieur bei der Firma Cauberg Huygen Consulting Engineers, Maastricht.


    L i t e r a t u r

    [1] Wolak, E. J. M. und H. M. J. Brounts: Onderzoek naar de acceptatie van en besluitvorming over gebalanceerde ventilatie systemen in de woningbouw. R&M Research and Marketing, rapport 5 95 202 April 1995.

    [2] NEN 5128: Energy performance of dwellings and residential buildings. Determination method, Nederlands Normalisatie Instituut, Delft 1994.


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