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Wohnungslüftung – das Stiefkind der SHK–Branche?

Luftdichte Gebäude und atmende Nutzer erfordern eine „Lüftungs-Offensive“ im SHK–Handwerk

Die Planung einer Lüftungsanlage fängt bei einem Blowerdoor-Test an. Allerdings fehlt die Gerätschaft in der Regel im Werkzeugpool des SHK-Installateurs.

Ohne lüftungstechnische Kompensationsmaßnahmen besteht bei einer modernen Bauweise die Gefahr einer Schimmelpilzbildung an den Wärmebrücken sowie einer erhöhten Schadstoffkonzentration in der Raumluft. Bild: Direkthilfe Schimmelpilz

Bei vielen Lüftungssystemen sind umfangreiche Tischler- bzw. Trockenbauarbeiten unumgänglich. Das Einschalten weiterer Gewerke bei einem vergleichsweise geringen Auftragsvolumen < 2000 Euro macht die Arbeit zusätzlich unattraktiv für das SHK-Fachhandwerk.

Viele Anlagen versagen auch aufgrund fehlender Einmessungen. Gerätschaft und Fachkenntnis dazu fehlen häufig. Bild: Wöhler Messgeräte Kehrgeräte GmbH

 

Die bevorstehenden erhöhten Anforderungen an den Energiebedarf von Neubauten in der EnEV 2016 lösen abermals intensive Diskussionen aus, mit welchen Techniken insbesondere die um 25% steigenden Vorgaben an den Primärenergiebedarf gelöst werden können. Vermehrt in den Hintergrund rutscht dabei die Betrachtung der Wohnungslüftung. Aufgrund von fehlender Sensibilität versuchen Architekten und Bauträger die nunmehr seit 6,5 Jahren im Weißdruck vorliegende Lüftungsnorm DIN 1946-6 mit einfachen Fugenfalzlüftern, bestenfalls mit Abluftanlagen zu erfüllen. Oftmals mit scherwiegenden Folgen für Nutzer und Bausubstanz zugleich.

Die Beratung der Endkunden in Bezug auf notwendige Lüftungstechnische Maßnahmen bei einem Neubau oder einer Bestandssanierung ist in der Branche äußerst „defensiv“. An vorderster Front steht der SHK-Fachhandwerker: Die Erfahrungen aus hunderten SHK-Fachschulungen zeigen, dass sie die maßgeblichen Argumente für die Notwendigkeit für lüftungstechnische Maßnahmen nicht oder nicht ausreichend kennen und somit den Endkunden auch nicht vermitteln können. Die notwendige Folge ist, dass nahezu jeder SHK-Betrieb das Leistungsspektrum „Sanitär – Heizung und Klima (Lüftung)“ auf seinem Briefkopf bzw. Firmenfahrzeug stehen hat, jedoch im Bereich der Lüftung wenig Sachkunde oder Erfahrungen über Referenzobjekte aufweisen kann. In Zeiten von hohen normativen Vorgaben an die Luftdichtigkeit von Gebäuden sowie steigenden Anforderungen an die Energieeffizienz besteht hier jedoch dringender Handlungsbedarf.

SH – ohne K?
Die Notwendigkeit einer Gebäudeheizung sowie sanitären Einrichtungen sind auch für Endkunden selbsterklärend und haben daher zunächst keinen weiteren Aufklärungsbedarf. Das Thema Wohnungslüftung ist hingegen beratungsintensiv und erfordert umfangreiches Wissen bzgl. der Hintergründe und Erfordernisse von lüftungstechnischen Maßnahmen sowie detaillierte Kenntnisse zu den verfügbaren Systemen.
Der Bedarf an lüftungstechnischen Maßnahmen erschließt sich erst im Kontext mit der in den letzten 15 Jahren stark geänderten Baukultur. Galt 1995 ein Neubau mit einem n50-Wert von 3,0/Std. noch als „luftdicht“ so sind aktuell Werte < 1,0 die Regel. Diese (bauphysikalisch und ener­getisch durchaus sinnvolle) veränderte Luftdichtung hat für den Nutzer gravierende Folgen: Ein Luftdichtigkeitstest wird bei einem Über- bzw. Unterdruck von 50 Pa durchgeführt (entspricht ca. der Windstärke 6). Im Alltag liegt in einer windschwachen Lage eine Druckdifferenz von 2 bis 3 Pa, in einer windstarken Gegend von ca. 5 Pa vor. Für die günstigere windstarke Lage kann daher das Blowerdoor-Ergebnis ca. durch 10 dividiert werden, um eine Einschätzung für den baupraktischen Alltag zu erhalten. Hieraus resultiert bei Gebäuden mit einem n50-Wert von 3,0/Std. für den Alltag eine Infiltration von ca. 0,3 x Netto-Gebäudevolumen pro Stunde. Über 24 Std. betrachtet ergeben sich für diese Gebäudeklasse somit 24 x 0,3 = 7,2 vollständige Luftwechsel. Addiert man nun die zumutbaren 2 bis 3 manuellen Lüftungsvorgänge durch den Nutzer hinzu, so ergeben sich 9 bis 10 vollständige Luftwechsel für das Objekt. Die normative Empfehlung der DIN 4108 (nicht DIN 1946-6) einer Luftwechselrate von 0,5/Std. (24 x 0,5 = 12 vollständige Luftwechsel) wird somit annähernd erfüllt.
Für einen aktuellen Neubau mit einem n50-Wert von 0,7 (bei 50 Pa) reduziert sich die (nutzerunabhängige) Infiltration dras­tisch: 0,7/10 = 0,07 x 24 Std. = 1,68 nutzerabhängige Luftwechsel über Infiltration in 24 Std. Auch bei einem zumutbaren Lüftungsverhalten durch die Nutzer resultieren lediglich 3 bis 4 Luftwechsel pro Tag – und somit 9 bis 10 Luftwechsel zu wenig.

Moderne Bauweisen verlangen eine KWL-Anlage
Die unzureichende Infiltration kann evidenter Weise nicht durch den Nutzer ersetzt werden. Ohne lüftungstechnische Kompensationsmaßnahmen besteht nun die Gefahr einer Schimmelpilzbildung an den Wärmebrücken sowie einer erhöhten Schadstoffkonzentration in der Raumluft. Eine Einschätzung dieser hygienischen Parameter kann in Anlehnung an die DIN 13779 („Lüftung von Nicht-Wohngebäuden“) über das Kriterium „CO2-Konzentration“ getroffen werden. Statt den empfohlenen 1000 ppm sind in aktuellen Gebäuden Konzentrationen zwischen 2500 bis 5000 ppm die Regel. Laut den Empfehlungen des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2008 sind CO2–Konzentrationen > 2000 ppm „hygienisch inakzeptabel“. Bei Nicht-Wohngebäuden (z. B. Schulen und Kindergärten) beginnt nach DIN 13779 die schlechteste Stufe (IDA 4) bei 1400 ppm. Nicht selten wird in bundesdeutschen Schlafzimmern der MAK–Wert (Maximale Arbeitsplatzkonzentration) von 5000 ppm in der Nacht regelmäßig überschritten.
Folglich kann der Rückschluss gezogen werden, dass luftdichte Gebäude zwar bauphysikalisch und energetisch sinnvoll sind, aber zwingend lüftungstechnische Kompensationsmaßnahmen benötigen, um eine schadensfreie Nutzung und eine hygienische Raumluftqualität sicherzustellen.

Lüftungstechnische Maßnahmen – die Qual der Wahl
Ungeachtet der geringen Resonanz in der SHK-Branche werden auf dem Markt diverse Lüftungs-Systeme zur Sicherstellung der Anforderungen aus der DIN 4108 bzw. 1946-6 angeboten. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch schnell, dass es sich bei vielen Systemen um „Pseydo-Lösungen“ handelt. Hier wären in erster Linie die „passiven“ Fugenfalzlüfter ohne Ventilatorunterstützung zu nennen: Bei den (in der Wohnungswirtschaft üblichen) Wohnungen mit nur einer Fassadenorientierung funktionieren diese Systeme nicht (fehlende Querlüftung). Zudem können die Räume nicht eindeutig als Zu- oder Ablufträume definiert werden – die Zuordnung übernimmt bei diesen Systemen der Wind. Ebenso kann ein normativ geforderter definierter Außenluftvolumenstrom nicht als gesichert angesehen werden (bei Windstille geht dieser gegen null). Etwas vereinfacht ersetzt ein Fugenfalzlüfter nur die Undichtigkeiten des zuvor (aus diesem Grunde) ausgetauschten Bestandfensters.

Nicht alle Fehler liegen im Arbeitsbereich des SHK-Handwerks
Aber auch viele ventilatorgestützte Systeme erfüllen bei genauer Betrachtung nicht die normativen Anforderungen oder bleiben in der Praxis deutlich hinter den Angaben im Verkaufsprospekt zurück (sie­he Ergebnisse eines 2-jährigen Modellversuches des Autors im IKZ-FACHPLANER Juni 2014, ab Seite 16). Ursächlich für diese negativen Ergebnisse sind häufig Faktoren, die zunächst einmal nicht in den Arbeitsbereich eines SHK-Handwerkers gehören, aber für die Funktionstauglichkeit der Systeme unerlässlich sind:
Viele aktuelle Lüftungssysteme (z. B. Abluftanlagen mit ALDs sowie paarweise gekoppelte Einzelraumlüfter) erfordern eine nahezu luftdichte Gebäudehülle – auch zum Treppenhaus – damit die prognostizierten internen Volumenströme auch tatsächlich eintreten. In der Praxis werden die Wohnungen im Vorfeld jedoch nicht auf Luftdichtigkeit (und somit auf Eignung für das System) geprüft. Eine fehlende Luftdichtung führt bei den zuvor genannten Systemen zu unkontrollierten Volumenströmen und somit zu einem weitgehenden Versagen der Anlage. Zudem wird bei Systemen mit Wärmerückgewinnung (WRG) ein Luftdichtigkeitstest gefordert (z. B. KFW) bzw. dringend empfohlen (DIN 1946-6). Hierbei müssen Systeme mit WRG ein Testergebnisse von LWR < 1,5/Std (Empfehlung < 1,0) erreichen damit die Wärmerückgewinnung nicht durch unkontrollierte Leckagen ad absurdum geführt wird. Ein Luftdichtigkeitstest ist somit sowohl normativ als auch wirtschaftlich erforderlich.
Weitere Fehlerquellen liegen ebenfalls in SHK-fernen Faktoren: Bei vielen Lüftungssystemen sind umfangreiche Tischler- bzw. Trockenbauarbeiten unumgänglich. So müssen z. B. Innentüren 8 bis 20 mm gekürzt werden, um die erforderliche Überströmung in den Flur zu ermöglichen. Ebenso sind bei allen Abluftanlagen entsprechend dimensionierte Nachström­einrichtungen in die bestehenden Fenster einzubauen – bei genauer Betrachtung sind hier zumeist aufwendige (und kostenintensive) Aufsatzlüfter erforderlich. Beide Arbeiten müssen von Tischlern erledigt werden. In der Praxis fehlen daher häufig die unabdingbaren Außenluft- bzw. Überströmdurchlässe, womit sich eine Fehlfunktion der Anlagen leicht erklärt. Ebenso ist es verständlich, dass die Einschaltung weiterer Gewerke bei einem vergleichsweise geringen Auftragsvolumen < 2000 Euro für die SHK-ler nicht attraktiv ist.
Diese Feststellung gilt auch für die aufwendigeren KWL-Anlagen: Hier sind es zumeist die umfangreichen Trockenbauarbeiten (inkl. diverser Revisionsöffnungen) die viele Betriebe entweder abschrecken oder nicht mehr wettbewerbsfähig machen, sofern die gewerkfremden Arbeiten durch das eigene Personal erledigt werden. Bei allen ventilatorgestützten Systemen müssen zumeist auch noch elektrische Anschlüsse ge- oder umverlegt werden, sodass noch ein weiteres Gewerk zu involvieren und zu koordinieren ist.

Qualifizierungen sind gefragt
Die Praxis zeigt, dass der Einbau von Lüftungssystemen eine besondere Qualifizierung erfordert, um die Anlagen funktionstauglich und wirtschaftlich montieren zu können. Spezialisierte Betriebe sind durch optimierte Abläufe in der Lage, die Forderung der Wohnungswirtschaft nach Einbaukosten von 4000 bis 5000 Euro für Bestandswohnungen zu erfüllen. Darüber hinaus sind erweiterte Kenntnisse bei der Planung und Auslegung der Anlagen erforderlich: Die von den Herstellern angebotenen „Auslegungsvorschläge“ sind grundsätzlich mit dem Hinweis versehen, dass es sich hierbei nicht um eine Planung handelt bzw. diese ersetzt. Im Streitfall liegt somit häufig keine auf das Objekt abgestimmte Planung vor – was dem ausführenden Betrieb anzulasten wäre.

Zusammenfassung und Ausblick
Luftdichte Gebäude erfordern zwingend lüftungstechnische Kompensationsmaßnahmen. Da bereits bei aktuellen Gebäuden die Lüftungswärmeverluste die gesamten Transmissionswärmeverluste (über Wärmedämmmaßnahmen) deutlich übersteigen, müssen die Lüftungswärmeverluste in Zukunft durch Anlagen mit Wärmerückgewinnung gesenkt werden. Diese Forderung ergibt sich bereits aus den EU-Richtlinien 1253/14 und 1254/14, die ab dem 1. Januar 2016 eine Wärmerückgewinnung in RLT-Geräten verbindlich vorschreiben. Eine, vom Autor bereits seit geraumer Zeit geforderte, bedarfsgerechte und nutzerunabhängige Steuerung der Anlagen findet in den zuvor genannten Richtlinien ebenfalls Erwähnung.
Es ist daher davon auszugehen, dass sich der Wohnungslüftungsmarkt ab 2016 signifikant in Richtung KWL-Systeme entwickeln wird. Diese Anlagen fallen eindeutig in den Bereich des SHK-Handwerks. Die Verbände, Großhändler und Verarbeiter sollten sich daher dieser „neuen“ Aufgabe stellen und sich entsprechend qualifizieren.

Autor: Hans Westfeld, Sachverständiger für Schäden an Gebäuden + Schimmelpilzschäden (TÜV Rheinland), Thermische Bauphysik, Lehrbeauftragter an den Hochschulen Karlsruhe und Hannover

Bilder:
Sofern nicht anders angegeben, Hans Westfeld

www.svb-westfeld.de

Schimmelpilz-Sachkunde-Seminar

Der Autor Hans Westfeld bietet für Meister, Gesellen Architekten und Energieberater ein zweitägiges Seminar zum Thema Erkennen, Bewerten und Sanieren von Schimmelpilzschäden an. Stattfinden wird die Veranstaltung am 28. und 29. Januar 2016 im Kasseler Konferenzhotel „Steinernes Schweinchen“. Neben der Schimmelpilzsachkunde für Sanierungsmaßnahmen, Kenntnisse zu den Ursachen für Schimmelpilzschäden sowie Präventionsmaßnahmen werden Argumentationsgrundlagen für die Notwendigkeit von Lüftungs-Maßnahmen im Endkundengespräch vermittelt. Zum Ende der Veranstaltung wird eine Prüfung von 90 Min. mit ca. 15 Fragen zu den zuvor stehenden Themenbereichen durchgeführt. Nach Bestehen erhalten die Teilnehmer einen Sachkundenachweis, der für die Sanierung von Schimmelpilzschäden > 0,5 m² (analog zur Asbest-Problematik) erforderlich ist.
Interessierte können sich noch bis zum 2. Januar 2016 unter der E-Mail-Adresse seminar@svb-westfeld.de anmelden. Die gesamte Weiterbildung kostet 450,00 Euro (netto) inkl. Prüfungsgebühr zzgl. MwSt. Ein Zimmerkontingent steht im Seminarhotel für 80 Euro/Nacht inkl. Frühstück zur Verfügung (Stichwort „SVB“).

 


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