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Verlockende Unterstützung

Zahlreiche Helfer rund ums Lenkrad

Abstandstempomat, Antikollisions- und Notbremsassistent machen einen vermeintlich guten Job. Da ist die Verlockung für den Fahrer groß, seine Aufmerksamkeit nicht mehr ganz dem Verkehrsgeschehen zu widmen. Bild: Daimler

Beim Einparken oder Andocken eines Hängers kann die Heckkamera entscheidende Infos liefern – eine große Hilfe beim geschlossenen Kastenwagen, wenn der Fahrer allein unterwegs ist. Bild: Daimler

Der Seitenwindassistent erweist sich vor allem bei Transportern mit erhöhtem Dach als nützlich. Blitzschnelle Bremsmanöver an einzelnen Rädern vermögen das Fahrzeug zu stabilisieren. Bild: Daimler

Beim „TGE“ (MAN) und dem baugleichen „Crafter“ von VW (Bild) gibt es die Option, per Joystick rückwärts in eine Parkposition steuern zu können. Die dafür erforderlichen Lenkbewegungen führt der Assistent automatisch aus. Bild: Thomas Dietrich

Volkswagen zeigt mit dem „I.D.Buzz“ als fahrfähiges Vorführmodell, wie in wenigen Jahren autonomes Fahren Wirklichkeit werden soll. Wenn das Lenkrad nicht gebraucht wird, lässt es sich flächenbündig im Cockpit versenken. Bild: Volkswagen

 

Jedes neue Auto hat ein Antiblockiersystem, auch ein Seitenwindassistent ist in manchem Transporter bereits serienmäßig. Aber machen alle elektronischen Helfer wirklich Sinn? Mit fortschreitender Technik ist die Verlockung groß, das eigene Können hinter dem Steuer und die Verantwortung im immer dichter werdenden Straßenverkehr zu vernachlässigen.

Drei Nachrichten, die Ende letzten Jahres zu lesen waren, geben gute Beispiele über die Bandbreite an Möglichkeiten, die mittlerweile in der Instrumententafel oder an der Achse Bedeutung haben. Da verkündete Nissan, dass erstmalig die autonome Fahrt quer durch die Millionenmetropole Tokio zur vollen Zufriedenheit der Techniker gelungen war. Erst wer sich mit dem Schwierigkeitsgrad dieser Entwicklungsleistung detailliert auseinandersetzt, kann diese komplexe Errungenschaft der Ingenieure hoch genug einschätzen.
Im zweiten Beispiel titelte eine deutsche Tageszeitung, dass etliche Trucker nachweislich die Notfallbrems-Assis­tenten abschalten. Daher wolle Sachsen-Anhalt das Ausschalten verbieten lassen, um letztlich die Zahl schwerer Auffahrunfälle zu minimieren. Einige Spediteure wiederum halten vom Bremsassistenten nichts. Zum einen kritisieren sie, dass er zu frühzeitig reagiere, wenn die Abstände in der Kolonnenfahrt zu dicht werden und dadurch den Verkehrsfluss stören. Zum anderen müssten sie wirkungsvoller sein und ein Abbremsen um 40 km/h möglich machen (aktuelle Vorschrift: lediglich 10 km/h).
Das letzte Beispiel lieferte Seat: Wer ein Icon auf dem Display des Auto-Mediacenters antippt, kann danach eine Probefahrt per Sprachsteuerung über den Cloud-basierten Sprachdienst Amazon Alexa buchen. Diese „Sensation“ konnte im November 2017 sonst kein anderer weltweit...

Opfer zu beklagen
In den letzten Monaten reihte sich zunächst eine vermeintliche Erfolgsmeldung an die andere, was mittlerweile durch Fahrassistenten und im autonomen Fahren möglich geworden ist. Im März 2018 hatte die Meldung aus Arizona allerdings eine Schockwirkung: Eine Fußgängerin war von einem automatisch gesteuerten Fahrzeug erfasst und getötet worden. Nach neuesten Erkenntnissen soll die Systemsoftware die Person zwar erkannt, doch trotzdem entschieden haben, nicht zu reagieren. Eine solche Möglichkeit ist deshalb programmiert, weil ein Auto beispielsweise keiner umher wehenden Plastiktüte ausweichen oder vor ihr zum Stehen kommen soll. Der Fußgängerin wurde die lückenhafte Art der Erkennung deshalb zum Verhängnis, weil sie ein Fahrrad neben sich herschob und so vermutlich als vernachlässigbares Hindernis eingestuft wurde.
In den Wochen nach diesem Unfall ist von der Euphorie in Sachen autonomes Fahren nicht mehr viel zu lesen. Aussagen von Automobilherstellern, die Technik sei praktisch einsatzbereit und benötige nur noch geeignete Rahmenbedingungen, werden von wissenschaftlicher Seite als voreilig eingestuft. Solche Aussagen würden falsche Erwartungen wecken. Die Systeme seien dafür nicht reif genug.
Wenn aber noch kein autonomes Fah­ren ins allgemeine Fahrzeugangebot kommt, dann doch wenigstens alle möglichen Assistenten? Was den Stand der Technik beim autonomen Fahren auf den Boden der (tödlichen) Tatsachen gebracht hat, kann und muss auch für die Welt der vielen Fahrzeugassistenten gelten. Die Faustregel lautet: Bei allem technischen Zusammenwirken zahlreicher Helfer rund ums Lenkrad ist und bleibt der Fahrer die entscheidende und verantwortliche Person.

Verantwortung bleibt beim Fahrer
Als eine Servolenkung noch nicht selbstverständlich war, hatte man alle Hände voll zu tun, um das Fahrzeug sicher auf der Fahrbahn zu halten. Inzwischen ist die Verlockung groß, seine Aufmerksamkeit vielem anderen zu widmen, nur nicht den eigentlichen Aufgaben, die einem Fahrer zukommen.
Entwickler und Marketing-Spezialisten in den Automobilfirmen arbeiten emsig daran, über die Assistenten dem autonomen Fahren immer näher zu kommen. Zwischenschritte, die vermeintlich bereits jetzt ein Auto auszeichnen, werden als Errungenschaft gepriesen. Bei Pkws ist dieser Trend noch weit ausgeprägter als bei Nutzfahrzeugen. Der ADAC erläutert und bewertet auf seinen Webseiten unter dem Stichwort Fahrerassistenzsysteme mehr als ein Dutzend dieser intelligenten Helfer – denen es momentan jedoch vielfach an Hochintelligenz mangelt.

Darf es an Konzentration mangeln?
Das Gefährliche: Es kann den Nutzer beispielsweise dazu verleiten, mehr als nötig dem Spurhalteassistenten zu vertrauen. Doch aktiv wird manches System erst ab einer bestimmten Geschwindigkeit, die aber noch nicht erreicht sein könnte. Dies erhöht das Unfallrisiko kolossal. Spricht ein solches System an, gibt es je nach Hersteller unterschiedliche Reaktionen. Beim Mercedes „Sprinter“ (Modell 2019) beispielsweise vibriert der Lenker, eine Warnung wird angezeigt und die Geschwindigkeit wird vermindert – was für den Nachfolgenden in der Kolonne heikel werden könnte, denn eigentlich bedarf es nur einer Lenkkorrektur. Der VW „Crafter“ und der baugleiche MAN „TGE“ kann dagegen diese Lenkbewegung automatisch vollziehen, weil Spurhalteassis­tent und elektromechanische Lenkung darauf abgestimmt sind.
Bloß – warum sollte man sich auf diese Technik verlassen? Mancher Könner am Lenkrad, der konzentriert bei der Sache ist und genau weiß, welche Ausmaße sein Fahrzeug hat, fühlt sich binnen kurzer Zeit durch eine solche Art von Hilfestellung genervt. Denn will man bewusst den Randbereich der Straße nutzen oder den Wirrwarr von Markierungen innerhalb einer Baustelle passieren, hat man entweder einen lästigen Piepser im Ohr oder hält immer wieder einen Vibrator in der Hand. Einem Ungeübten mag diese Unterstützung helfen. Wenn allerdings ein solches System deshalb warnt, weil die Lage tatsächlich bedrohlich ernst ist, dann ist der Fahrer überfordert. Hier müsste, scherzhaft gemeint, der Einparkassistent tätig werden...

Tatsächlich müde oder Fehlalarm?
Als nicht durchschaubar erweist sich die Funktion des oftmals gratis eingebauten Müdigkeitsassistenten. Man erinnere sich: Erste Versionen beobachteten vor etlichen Jahren per Kamera die Augen des Truckers und schlugen Alarm, wenn die Lider schwerfällig wurden. Heute übernimmt ein Warnsystem im Bordcomputer diese Aufgabe. Es ermittelt aufgrund der zurückgelegten Fahrtzeit sowie aufgrund von Lenkbewegungen, ob eine Warnung nötig ist. In der Praxis erweist sich dies als untauglich. Der Fahrer kann unkonzentriert oder übernächtigt losfahren, ohne dass der Assistent anspricht. Und oft gibt es nach gut einer Stunde Fahrzeit einen blinden Alarm, obwohl der Fahrer noch alle Sinne beisammen hat. Diese Überwachungsleistung erinnert an das Sprichwort: Was nix kostet, ist auch nix!

Parkassistenz in zwei von drei Autos
Den Komfort eines Parkassistenten lassen sich viele Entscheider heute einiges kosten. Beim Kauf eines Pkws steht laut Systemanbieter Bosch eine solche Option ganz oben auf der Beliebtheitsskala der Assistenten. Hier reicht die Bandbreite vom Abstandssensor über die Heckkamera bis hin zum automatischen Einparker. Zwei von drei Fahrzeugen bieten heute Unterstützungen dieser Kategorie und auch bei vielen Nutzfahrzeugen ist ein solcher Parkwächter angebracht. Vor allem bei geschlossenen Kastenwagen herrscht sonst am Heck Ahnungslosigkeit, die schnell ins Geld gehen kann.
Große Hilfe bietet sich mittlerweile auch für den Anhängerbetrieb: Beim Crafter gibt es die Option, mithilfe der Heckkamera zielgenau an den Hänger anzudocken. Oder es bietet sich die automatische Assistenz, per Joystick im Hängerbetrieb rückwärts in eine Parkbucht zu steuern.

Wirklich keine Kollision?
Damit die Front keinen Schaden nimmt, stehen Abstandstempomat sowie Antikollisions- und Notbremsassistent auf Platz 2 der Beliebtheitsskala. Doch die Tauglichkeit ist zweifelhaft, weil es leider oftmals an Hochintelligenz mangelt. Das zeigt sich beispielsweise darin, dass ein Bremsassis­tent im Kolonnenverkehr manchmal bereits frühzeitig mit markigem Schnarren einschreitet, der Profi dagegen besser dosiert mit dem Pedal umgehen würde. Ist kurz nach einem solchen Manöver erneut eine Verzögerung fällig, kann es sein, dass das System gar nicht aktiv wird – aus welchem Grund auch immer.
Ein automatisiertes Bremsen bleibt auch dann aus, wenn die Kupplung betätigt ist. Das kommt im Stop-and-go häufig vor. Ist der Fahrer in dieser Phase unaufmerksam, lässt ihn der Assistent auflaufen. Über den Sinn solcher (Un-)Zuverlässigkeit ließe sich sicher trefflich debattieren...
Noch ist das Zeitalter des autonomen Fahrens nicht angebrochen. Noch gibt es viele Möglichkeiten, dass nicht hochintelligente Assistenzsysteme ihre Bestimmung verfehlen. Durch die vielen Assistenten wird die Verlockung für den Fahrer allerdings immer größer, die Verantwortung für das Fahrgeschehen der Technik zu überlassen.

Zielgenau durch drei Worte
Genug der Zweifel zum derzeitigen Technikstand der Assistenzsysteme. Eine Neuentwicklung sei zum Schluss als besonders bemerkenswert hervorgehoben. Mit dem 2019er-„Sprinter“ bietet Daimler ab Mitte dieses Jahres unter dem Oberbegriff „MBUX“ (Mercedes Benz User Xperiants) die Option eines Multimediasystems, das die herkömmliche Navigation mit den Leistungen des Startup-Unternehmens what3words kombiniert. Deren Entwickler haben es in den letzten fünf Jahren geschafft, jedes 3 x 3 m große Planquadrat auf der Erde (insgesamt 57 Billionen1)) mit drei Worten eindeutig zu identifizieren – und dies mittlerweile in 22 Sprachen anzubieten.
Natürlich kann man eine solche sogenannte Geocodierung auch mit GPS-Daten erreichen, doch zwanzigstellige Codes einzutippen, ist viel zu umständlich. Im Gegensatz dazu lässt sich die Kombination von drei Worten genial einfach per zuverlässiger Spracherkennung ins Navi übermitteln und damit das Ziel präzise definieren.
Zugang für die Navigationshilfe bekommt man über die Website von what3words oder via App. Ein Zielsektor lässt sich erreichen, indem man entweder die traditionelle Adresse eingibt, die Karte auf eigene Faust erkundet oder auch zu einer bestimmten Adresse in der Nähe navigiert. Der bedeutende Gewinn für den Nutzer: Er muss in Zukunft auf Großbaustellen (meist ohne Straßennamen und Hausnummer) nicht mehr herumirren, bis beispielsweise der Lagerplatz für das Baumaterial gefunden ist. An jeder Messehalle mit diversen Ein- und Ausfahrten oder in einem offenen Gelände lässt sich bis auf drei Meter genau bestimmen, wo der Transporter mit seiner Lieferung Position beziehen soll. Bewährt sich diese Innovation im Handwerkeralltag, wäre dies eine überaus verlockende Unterstützung durch ein Assistenzsystem mit Zukunft.

Autor: Thomas Dietrich, freier Journalist

 

1) 1 Billionen = 1000 Mrd. = 1 · 1012

 


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