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Sind Netto-Null-Energiehäuser ab 2019 wünschenswert?

Öl und Gas werden teurer. Im Jahr 2013 könnte gar die 200-Dollar-Grenze für ein Barrel Rohöl erreicht werden, so einige Fachleute. Energie erst gar nicht zu verbrauchen, wäre da eine probate Kostenbremse, z. B. in Wohn- und Nichtwohngebäuden. Alternativ käme die Nutzung von Erneuerbaren Energien infrage. Die EU setzt auf eine Kombination von beidem: Das europäische Parlament hat einen Stein ins Rollen gebracht, nach der ab dem Jahr 2019 neue Häuser nur noch so viel Energie verbrauchen dürfen, wie sie selbst vor Ort erzeugen, eben mithilfe Erneuerbarer Energien. Diese sog. Netto-Null-Energiehäuser sollen also den Baustandard darstellen. Aber ist das wirklich wünschenswert?

 

Dr.-Ing. Jürgen Sterlepper
Mitglied des Bereichsvorstands von Bosch Thermotechnik, verantwortlich für Forschung und Entwicklung.

PRO
Um mit einer klaren Antwort auf die Frage zu beginnen: Netto-Null-Energiehäuser (Zero-Net-Energy-Home) sind eindeutig der richtige Weg. Netto-Plus-Energiehäuser wären noch besser. Je früher wir diesen Weg einschlagen, desto mehr leisten wir für Umwelt- und Klimaschutz. Die dafür erforderliche Technik ist bereits heute verfügbar. Wenn es gelingt, das Netto-Null-Energiehaus-Konzept für Gebäude bis 2019 zum Standard mindestens bei Neubauten zu machen, so wie es im EU-Richtlinien-Entwurf bereits geplant ist, wäre das ausgezeichnet. Das ist zweifellos ein sehr ehrgeiziges Ziel. Aber wichtiger als ein konkreter Stichtag ist, dass alle Beteiligten konsequent daran arbeiten, dieses Ziel möglichst früh zu erreichen.

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Wie beispielsweise die vor wenigen Monaten veröffentlichte Studie "Energy Efficiency in Buildings” ("Energieeffizienz in Gebäuden", kurz EEB) des World Business Council for Sus­tainable Development (WBCSD) zeigt, ist der Energieverbrauch im Gebäudebereich weltweit für rund 40 % der CO2-Emissionen verantwortlich. Bis 2050 können diese Emissionen laut Studie um 60 % reduziert werden. Damit würde in den Gebäuden ungefähr so viel CO2 eingespart, wie derzeit weltweit im Transportsektor entsteht. Diese wenigen Fakten zeigen klar, wie hoch die Verantwortung für den Klimaschutz ist. Hierbei sollten vom Gesetzgeber, über die Hersteller, Planer und das Fachhandwerk bis hin zu den Bauherren und den Verbrauchern sowie Eigentümern der Gebäude alle an einem Strang ziehen. Dann können wir die drohende Klimaerwärmung wirksam begrenzen und gemeinsam unsere gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Das Netto-Null-Energiehaus bietet darüber hinaus Wachstumschancen für alle Marktpartner, die rechtzeitig umweltschonende Technologien, wie z. B. Wärmepumpen, Solarthermie oder Photovoltaik, in ihr Angebot aufnehmen.

Wie ein Netto-Null-Energiehaus in der Praxis aussehen kann, zeigt das "Eco Plus Home" am St.-Lorenz-Golf in Kanada. Bosch hat das Haus mit Elektro-Wärmepumpe, Kontrollierter Wohnraumlüftung, Regelungstechnik sowie Solarthermiesystem und Photovoltaikanlage ausgestattet. Das Haus produziert übers Jahr so viel Wärme und Strom, wie die Bewohner benötigen. Die Wärmepumpe verbraucht zwar Strom, aber die Photovoltaikanlage produziert CO2-frei aufs Jahr gesehen mehr, als benö­tigt wird. Überschüssiger Strom wird ins öffentliche Netz eingespeist. So kann man auch im kanadischen Winter mit bis zu -35 °C Außentemperatur komfortabel wohnen - bei positiver Energiebilanz. Der CO2-Ausstoß liegt nahezu bei null. Ein herkömmliches Wohnhaus emittiert im Schnitt hingegen rund 8 t CO2 pro Jahr.

Insbesondere die stromerzeugenden Systeme sind heute noch recht teuer. Aber das ist vor allem eine Frage der Stückzahlen. Wenn die Nachfrage wächst und die entsprechenden Lösungen in hohen Stückzahlen produziert werden, sinkt auch der Preis. Je schneller dieser Kreislauf in Schwung kommt, desto schneller kann sich das Netto-Null-Energiehaus als Standard etablieren.

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Gerold Happ
Referent für Energie- und Umweltrecht beim Immobilienverband Haus & Grund Deutschland.

CONTRA
Netto-Null-Energiehäuser sind Häuser, die rechnerisch in der Jahres-Bilanz keine externe Energie beziehen müssen. In der Praxis werden solche Netto-Null-Energiehäuser bisher sehr selten umgesetzt. Nur einzelne Unternehmen bieten die Errichtung von Netto-Null-Ener­giehäusern an. Die bisherigen Umsetzungen stellen allenfalls Versuchsprojekte dar.

Netto-Null-Energiehäuser werden mit sehr innovativen Techniken und Baustoffen errichtet. Daher waren diese Techniken und Baustoffe auch noch keinen Langzeitstudien in der Praxis ausgesetzt. Gerade bei der Dämmung der Gebäudehülle sind in den letzten Jahren viele Fortschritte gemacht worden, die in der Praxis noch nicht hinreichend erprobt sind. Vereinzelt sind bereits unvorhergesehene Schäden an den Dämmmaterialien aufgetreten, die deren Dämmeigenschaften stark beeinträchtigen. In Einzelfällen mussten sogar Bauteile innerhalb kürzester Zeit ersetzt werden. Auch die vermutete Lebensdauer der Baustoffe konnte in der Praxis oftmals noch nicht nachgewiesen werden. Von einem zuverlässigen Baustandard kann daher nicht gesprochen werden. Ohne die gebotenen Langzeiterfahrungen in der Praxis sollte schon aus bauphysikalischen Gründen davon abgesehen werden, Netto-Null-Energiehäuser bis zum Jahr 2019 als Neubaustandard festzulegen.

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Auch die Baukosten dürfen bei der Festlegung von Baustandards nicht unbeachtet bleiben. Es ist unsinnig, einen Standard festzulegen, der von der breiten Masse nicht finanziert werden kann. Die Errichtung eines Netto-Null-Energiehauses ist jedoch erheblich teurer als die Errichtung von einem Gebäude nach heutigem Standard. Ob die Baukosten bis 2019 soweit sinken, dass der durchschnittliche Bauherr einen Neubau finanzieren kann und auch will, bleibt abzuwarten.

Wenn die erhöhten Baukosten durch die Einsparung bei den Energiekosten ausgeglichen werden, könnte eine Investition in ein Netto-Null-Energiehaus für Eigenheimer trotzdem sinnvoll sein. Dies hängt jedoch davon ab, wie hoch die Energiepreise während des Lebenszyklus des Gebäudes bzw. der Lebensdauer der einzelnen Bauteile sind. Da zurzeit weder die Lebensdauer der Bauteile noch die während dieser Periode geltenden Energiepreise solide prognostiziert werden können, besteht für den Bauherrn ein erhebliches Kostenrisiko.

Bei zu vermietenden Mehrfamilienhäusern können die erhöhten Baukosten hingegen nur über die Mieteinnahmen refinanziert werden. Die Energieeinsparungen kommen nämlich allein den Mietern zugute. Ob auf den derzeit größtenteils entspannten Mietmärkten eine kostendeckende Kaltmiete erzielt werden kann, ist zweifelhaft. Hier ist die Rentabilität also noch ungewisser.

Sicherlich ist es mit Blick auf die Klimaschutzziele erstrebenswert, das Netto-Null-Energiehaus als Neubaustandard für das Jahr 2019 festzusetzen. Bevor dies geschehen kann, müssen allerdings die bauphysikalischen und wirtschaftlichen Folgen der bereits heute bestehenden energetischen Anforderungen gründlich ausgewertet werden. Anderenfalls wird der so lautstark beklagte geringe Neubau vollkommen zum Erliegen kommen.

 


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