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Gibt es einen Fachkräftemangel im Handwerk?

Die Arbeitslosenzahlen sprechen für sich: Sie liegen mit weniger als 3 Mio. Menschen (laut Arbeitsagentur im Spätherbst 2010) auf Rekord-Niedrigniveau. Das freut wohl alle, die sich mit Arbeitsmarktfragen beschäftigen. Die deutsche Wirtschaft befindet sich demzufolge nach der weltweit größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 80 Jahren wieder auf Erholungskurs. Damit suchen die Arbeitgeber auch wieder verstärkt Mitarbeiter.

 

Doch nicht Ungelernte oder nur wenig Qualifizierte – es sind die Fachkräfte, die händeringend gebraucht werden. So jedenfalls die Aussage, die landauf landab seit Langem zu vernehmen ist. Handelt es sich also um einen signifikanten Fachkräftemangel? Laut Definition handelt es sich dann um einen Fachkräftemangel, wenn eine "bedeutende Anzahl von Arbeitsplätzen" für Mitarbeiter mit bestimmten Fähigkeiten nicht besetzt werden kann, weil es auf dem Arbeitsmarkt "keine entsprechend qualifizierten Mitarbeiter" gibt. Tatsächlich würden Handwerksunternehmen Neueinstellungen vornehmen, wenn die Arbeitskräfte nur das nötige Zeug mitbrächten. Oder handelt es sich vielleicht lediglich um ein regionales Problem für nur wenige, zu anspruchsvolle Unternehmen? Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin jedenfalls diagnostiziert eben keinen deutschlandweiten Fachkräftemangel. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hingegen kommt zu einer ganz anderen Bewertung der Lage.

PRO: Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH)

In vielen Handwerksberufen gibt es seit Jahren bereits Nachwuchsmangel – bei den Bäckern beispielsweise oder den Gebäudereinigern. Probleme haben auch High-Tech-Betriebe, die auf Schulabgänger mit guten Noten in Mathematik oder Physik angewiesen sind. Seit 2009 schauen sich aber auch Betriebe um, die bisher die große Auswahl hatten. Kfz-Betriebe oder Tischler, sogar Friseure. Tausende Lehrstellen bleiben unbesetzt, weil vor allem im Osten des Landes die Zahl der Schulabgänger rapide zurückgeht. Im Westen steht diese Entwicklung bevor.
Wenn aber der Nachwuchs fehlt, steht im Handwerk der Fachkräftemangel bereits vor der Tür. Denn wenn das Handwerk seine Wettbewerbsfähigkeit erhalten will, muss es die benötigten Fachkräfte in aller Regel selbst ausbilden. Ins Ausland zu schielen, macht wenig Sinn.
Die Betriebe im Handwerk sind sich bewusst, dass die Fachkräftesicherung die zentrale Herausforderung der kommenden Jahre ist. Darauf gibt es einige Antworten: Qualifizierung des aktuellen Personals, Verbesserung der Arbeitsbedingungen für ältere Mitarbeiter oder mehr flexible, familienfreundliche Regelungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schaffen. Die wichtigste Antwort ist jedoch, alles daran zu setzen, auch in Zukunft eine ausreichende Anzahl junger Menschen in Handwerksberufen auszubilden.
Dazu stellt das Handwerk öffentlich heraus, dass es Chancen für alle Jugendlichen bietet. Abiturienten – für Führungspositionen, aber auch für den immer wichtiger werdenden Bereich Forschung und Entwicklung. Haupt- und Realschüler – denn Ausbildung und weiterführende Qualifikationen bieten die Chance zur schnellen Karriere mit Lehre. Praktisch orientierte, aber theorieschwächere Schüler – denn durch die Erfolge in der handwerklichen Ausbildung werden sie motiviert und meistern den Abschluss.
Unsere beste Werbung ist die außerordentliche Ausbildungsleistung. Jeder 10. Mitarbeiter ist im Handwerk ein Lehrling. Das ist Spitze in der deutschen Wirtschaft. Eine duale Ausbildung im Handwerk gilt weltweit als "best practice". Damit diese Botschaft auch bei der Jugend ankommt, hat das deutsche Handwerk eine Imagekam-pagne begonnen. Hier wird deutlich gemacht, wie aktuell und zukunftsorientiert die Ausbildung im Handwerk ist. Flotte Sprüche wie "Mit 18 baust du noch Scheiße, mit 20 Hochseejachten" machen deutlich, dass die handwerkliche Ausbildung der Schlüssel zum schnellen Erfolg in interessanten Berufen ist.
Für die Fachkräftesicherung entscheidend ist es aber auch, dass Schulabgänger das notwendige Rüstzeug für eine berufliche Ausbildung mitbringen. PISA war ein heilsamer Schock für die Bildungspolitiker in Bund und Ländern. Doch um alle Potenziale zu heben, brauchen wir mehr frühkindliche Bildung und Sprachförderung, mehr individuelle Hilfestellung in der Schule, mehr Ganztagsschulen, eine fest im Lehrplan verankerte Berufsorientierung. Wir müssen die Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen noch weiter stärken. Das Handwerk wird dafür vor allem im Lenkungsausschuss des Ausbildungspaktes kämpfen.
2011 wird es erstmals einen bundesweiten Tag des Handwerks am 3. September geben. Dieser Tag ist die Chance für alle im Handwerk, selbstbewusst auf die eigenen Leistungen und Produkte aufmerksam zu machen. Und nicht nur Kunden zu begeistern – sondern auch junge Menschen.

CONTRA: Karl Brenke, wissenschaftlichter Referent im Vorstand des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung)

Selbst in der tiefsten Krise wurde über einen Fachkräftemangel gejammert, und im jetzigen Aufschwung verstärkt sich natürlich die Klage. Wortführer sind die Industrieverbände. Behauptet wird, dass vor allem Ingenieure schwer zu finden seien. Daneben wären auch Techniker und Facharbeiter in den Bereichen Chemie, Elektro und Metall knapp. Jedermann weiß, dass sich Knappheiten in steigenden Preisen widerspiegeln. Auf dem Arbeitsmarkt geht es wie auf den Gütermärkten zu. Werden Fachkräfte immer rarer, müssten folglich die Preise für Arbeit steigen. Das war bei den entsprechenden Tätigkeiten in den letzten Jahren aber kaum der Fall. Seit 2008 gab es zum Teil sogar Reallohnrückgänge, und in den Jahren davor war die Lohnentwicklung auch nicht deutlich besser. Überdies: Es hat einen Ansturm auf die Universitäten gerade in naturwissenschaftlich-technischen Fächern gegeben, sodass auch in den nächsten Jahren nicht mit einem Mangel etwa bei Ingenieuren zu rechnen ist. Man sollte die Klagen deshalb nicht allzu ernst nehmen.
Auch im Handwerk wird von einem Fachkräftemangel berichtet. Insgesamt lässt sich feststellen, dass in den allermeisten Handwerksberufen immer noch deutlich mehr Arbeitslose als offene Stellen zu finden sind. Das gilt auch für das Bau- und Ausbaugewerbe. Es gibt allerdings einige Ausnahmen. So übersteigt bei den Sanitärinstallateuren und Heizungsbauern das Stellenangebot die Zahl der Arbeitslosen. Wenn schon in Deutschland insgesamt in diesen Berufen Facharbeiter knapp sind, dürfte in manchen Regionen ein ausgeprägter Mangel bestehen. Das hat seine Gründe. Angesichts der langen Flauten in der Bauwirtschaft wurde im letzten Jahrzehnt in starkem Maße Personal abgebaut – auch in den wenigen Berufen, in denen heute Facharbeiter fehlen. Bei Installateuren kam beispielsweise erst 2007 der Arbeitsplatzabbau zum Stillstand. Der lange Zeit andauernde Personalabbau schlug sich einerseits auch im Lehrstellenangebot nieder, andererseits hat er den Beruf für junge Leute nicht gerade attraktiv gemacht. Und als dann die Krise kam, wurden die Ausbildungskapazitäten wiederum zurückgefahren – als ob die Krise ewig dauern würde. Nun fehlen bei verbesserten Wirtschaftsaussichten manche Fachkräfte.
Früher hätte man dieses Problem damit abtun können, dass es sich nach einer gewissen Zeit in Luft auflöst, weil die Betriebe über vermehrte Ausbildung selbst für reichlich Nachschub an Fachkräften sorgen. Heute liegen die Dinge mit Blick auf die demografische Entwicklung aber etwas anders. Da die Zahl der Lehrstellenbewerber mehr und mehr abnimmt, kommt es nun darauf an, die Berufsausbildung stärker zu steuern. Vor allem kann es sich die Gesellschaft nicht mehr leisten, Jugendliche überhaupt nicht oder in großer Zahl in solchen Berufen auszubilden, die vergleichsweise wenig gebraucht werden. Die Hebel sind an zwei Stellen anzusetzen. Zum einen wird ein hinreichendes und über die Konjunkturzyklen stabileres Angebot an Ausbildungsplätzen benötigt. Zum anderen ist vermehrte Aufklärung unter den Jugendlichen nötig, damit sie nicht wie bisher in großer Zahl Modeberufen anstreben. Hier sind die Unternehmen, aber auch die Politik und die Schulen gefordert. Die Schulen stehen zudem mit Blick auf die Ausbildungsfähigkeit mancher Jugendlicher in der Pflicht – aber das ist ein anderes Thema.

 


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