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„Energiewende kann nur über Einbeziehung der Kälte gelingen!“

Günther Mertz, Geschäftsführer des Fachverbands Gebäude-Klima, und Fabian Lober, Produktmanager im Bereich Kälte- und Klimatechnik bei Systemair, im Gespräch

„Der Bedarf an aktiver Kühlung wird in den kommenden Jahren massiv steigen, das Bewusstsein für die notwendigen Kälteanlagen und ihre Einbindung in die TGA als solche muss aber noch deutlich verbessert werden“, waren sich Günther Mertz (l.) und Fabian Lober einig.

Günther Mertz: „Künftig wird nicht mehr die Wärme und ihre Erzeugung im Vordergrund stehen, sondern die Frage, wie aus Lüftungs- und Kältetechnik ein Wohlfühlklima wird.“

In Prüfstandläufen testet beispielsweise der Hersteller Systemair alternative Kältemittel auf ihre Praxistauglichkeit. Hier ein Kaltwassersatz auf einem Schwerlasttransporter im werkseigenen Prüfzentrum in Barlassina (Italien).

Eine „Ecofys“-Studie geht bei den bestehenden Klimaanlagen von möglichen Energieeinsparungen zwischen 30 und mehr als 60 % aus.

 

Wenn es um das Stichwort „Energiesparen“ geht, wird vor allem über die Effizienz von Wärmeerzeugern und über die Dämmung der Gebäudehülle gegen Transmissionswärmeverluste gesprochen. Das energetische (Einspar)Potenzial der aktiven Kühlung hingegen bleibt noch weitgehend unbeachtet. Das wird sich in den kommenden Jahren dramatisch ändern, sind sich Günter Mertz vom Fachverband Gebäude-Klima e.V. und Systemair-Produktmanager Fabian Lober einig: „Der Bedarf an Kühlung, auch im Passivhaus, steigt dramatisch an. Gleichzeitig schlummert hier jetzt schon ein energetisches Einsparpotenzial von 30 bis über 60 %, belegen unabhängige Studien.“ Es bestehe also Handlungsbedarf, vor allem bei TGA-Planern.

Im Kontext der Energieeinsparverordnung (EnEV) und ihrer sukzessiven Verschärfungen sinkt zwar der Heizwärmebedarf in Gebäuden – gleichzeitig steigt aber speziell in Nicht-Wohngebäuden der Energieaufwand für Klimatisierung bzw. Kühlung massiv an. Dafür gibt es laut Experten vor allem zwei Gründe: Der erste ist der sogenannte „Thermoskannen-Effekt“ der Gebäudedämmung in Verbindung mit externen Wärmeeinträgen durch großzügig verglaste Fassaden. Ein zweiter Grund sind die hohen internen Wärmelasten, beispielsweise aufgrund von EDV-Ausstattung. Trotzdem sei das Thema „aktive Kühlung“ noch nicht wirklich im Markt angekommen, sagt Günther Mertz, Geschäftsführer des Fachverbandes „Gebäude-Klima e.V.“: „Es wird zwar zunehmend über stille Kühlung durch Flächentemperierung gesprochen. Die ist aber leistungsmäßig begrenzt und führt nicht zu mehr Behaglichkeit im Raum. Das kann über eine parallele Entfeuchtung nur die aktive Kühlung.“

Schreckt komplexere Planung ab?
Ein Grund für dieses Missverhältnis zwischen Kühlbedarf und installierten Anlagen mag in der komplexeren Planung und dem höheren Grundinvest liegen, der für die Kältetechnik notwendig ist, vermutet Mertz: „Deswegen werden wir von Verbandsseite künftig verstärkt über Praxisbeispiele deutlich machen, warum beispielsweise auch kontrollierte Wohnraumlüftung kein angemessener Ersatz für präzise geplante und abgestimmte Klimaanlagen ist – wie viele TGA-Planer immer noch zu glauben scheinen.“ Fabian Lober sieht das in seiner täglichen Arbeit bestätigt: „Im Gegensatz zur Heizungs- und Lüftungstechnik fehlt es im Markt augenscheinlich noch an Fachwissen, welche Potenziale in Split-, Chiller- oder auch Wärmepumpenanlagen in diesem Bereich überhaupt bestehen – und wie sie dann ebenso effizient wie wirtschaftlich in der Praxis aktiviert werden können.“
Entsprechend intensiv hat beispielsweise Systemair in den vergangenen Monaten das Weiterbildungsangebot in diesem Bereich ausgebaut und setzt dabei ganz gezielt auf die Verknüpfung von Lüftungs- und Kältetechnik: „Die Kältetechnik muss viel stärker zum integralen Bestandteil der Gebäudetechnik werden, denn künftig wird nicht mehr die Wärme und ihre Erzeugung im Vordergrund stehen, sondern die Frage, wie aus Lüftungs- und Kältetechnik ein Wohlfühlklima wird“, ist sich Lober sicher. Das aber bedinge wiederum einen ganzheitlichen Planungs- und Installationsansatz, der letztlich in der vergleichbar aufgestellten Systemtechnik eines entsprechenden Herstellers, möglichst sogar einem integrierten Produkt münde.
„So weit ist die Realität in der Praxis, bezogen auf den planerischen und handwerklichen Part, allerdings noch lange nicht. Zumindest nicht in der Breite“, schränkt Günther Mertz aus Sicht des Fachverbandes ein. „Die Kälteanlagenbauer mit ihren rund 3200 Betrieben bundesweit sind zwar in dieser Hinsicht gut ausgebildet und ebenso gut aufgestellt. Ebenfalls tragen sie beispielsweise die Vision von der Kältetechnik mit.“ Aber, und da schließt sich die Einschränkung direkt an, dem gegenüber stehe mindestens die etwa zehnfache Zahl an Heizungsbaubetrieben, die ebenfalls potenzielle Multiplikatoren für diese Technologie sein könnten – aber wie viele TGA-Planer vor dem Gewerk noch zurückschrecken. Fabian Lober: „Perspektivisch kann man den Unternehmen jedoch nur anraten, frühzeitig einen Kälteanlagenbauermeister einzustellen und dieses Geschäftsfeld mit zu besetzen. Ähnlich dem Elektromeister, den es in den meisten SHK-Unternehmen mittlerweile ja auch schon gibt. Denn der wachsende Bedarf an Klimaanlagen ist Realität und die Systemtechnik der namhaften Hersteller so weit, dass über werksseitig vorkonfektionierte Geräte und Anlagen auch die Installation als solche deutlich schneller und einfacher geworden ist.“ Der Markt sei mit seinen Zuwachsraten auf jeden Fall groß genug für die klassischen Kältebau-Betriebe, wie für entsprechend qualifizierte Heizungsbauer, so die eindeutige Botschaft des Branchenkenners auf Basis von Marktdaten, die System­air erhoben hat. Gestützt wird diese Einschätzung durch eine Studie des britischen Beratungsunternehmens BSRIA. Danach ist in Deutschland binnen fünf Jahren bis 2017 beispielsweise ein Marktwachstum von über 30 % zu erwarten.

Berührungsängste bei Kältemitteln
Ein wichtiges Stichwort ist in diesem Zusammenhang allerdings zweifellos der Umgang mit Kältemitteln, der bei altgedienten SHK-Fachhandwerkern – im Gegensatz zu Kälteanlagenbauern – noch „Zurückhaltung“ auslöst, sind sich die Branchenkenner einig. Unbegründet, wie Lober findet: „Im Vergleich zu den vielen dringend sanierungsbedürftigen Altanlagen, die teilweise noch mit dem Kältemittel R22 laufen, wurde deren Einsatz aber ohnehin schon stark reduziert, bei System­air beispielsweise um bis zu 75 %. Darüber hinaus helfen zusätzlich die Gerätekonzeptionen nach dem „Plug-and-play“-Prinzip, die besonders montagefreundlich sind – also gerade solch zögerlichen Installateuren entgegenkommen.“ Dennoch seien auch die Hersteller weiter in der Pflicht, neben ihren Kommunikationsaufgaben rund um das Thema „Kälte“ in der TGA die sys­temische Optimierung der Anlagentechnik weiter voran zu treiben.

Fehlt ein ganzheitlicher Denkansatz?
Diese „industriellen Vorleistungen“, sind sich Günther Mertz und Fabian Lober einig, können aber nur den Rahmen für eine Ausgangsbasis setzen. Die Realisierung, das Aufbrechen des Marktes für die aktive Kühlung im größeren Stil liege als „Handlungsticket“ vielmehr auf dem Tisch der TGA-Fachplaner: „Der Absatz an einfach zu installierenden Split-Geräten lässt Rückschlüsse auf den aktiv vorhandenen Bedarf beispielsweise in Bürogebäuden, Praxen oder ähnlichen Objekten zu, vor allem angesichts der enormen Zuwachsraten in den vergangenen Jahren. Mit diesen Geräten aber wird das Thema ‚thermische Behaglichkeit‘ immer nur punktuell und vor allem produkt- oder problem-getrieben angegangen.“
Für Betreiber wie Nutzer wesentlich zielführender sei hingegen ein ganzheitlicher planerischer Ansatz, über den die Klimatechnik von Anfang an in ein das Gebäude und seine Funktionalitäten einschließendes Energiekonzept eingebunden würde, so Günther Mertz: „Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) hatte diese Zielsetzung als integrale Planung schon vor zwanzig Jahren auf der Agenda. Über das Building Information Modeling (BIM) gewinnt das Thema jetzt wieder dynamisch an Aktualität.“ Zusätzlich getragen werde das Ganze über die ambitionierten Ziele der Energieeinsparverordnung zur Senkung des CO2-Ausstoßes, die ohne Berücksichtigung des steigenden energetischen Aufwandes für Kühlung definitiv nicht zu erreichen seien: „Eine Studie von ‚Ecofys‘ im Auftrag des Bundesumweltamtes weist aus, dass derzeit für Gebäudekühlung rund 21 000 GWh Energie aufgewandt werden – pro Jahr. Je nach Szenario ließen sich davon völlig problemlos 36 bis 64 % einsparen, wenn insbesondere im Einzelhandel und in Büros alte Geräte ausgetauscht und effizientere Techniken eingesetzt würden.“ Im Gegensatz zur möglichen Energieeinsparung in der Wärmeerzeugung oder dem Effekt von Gebäudedämmung gegen Transmissionswärmeverluste sei dieses Potenzial aber in der breiten Öffentlichkeit noch weitgehend unerkannt, so Mertz und Lober.
Das werde sich aber – und hier schließt sich der Kreis zur ganzheitlichen Planung – spätestens dann ändern, wenn „die Verbrauchsreduzierung bei Einzelsystemen wie Heizen oder Lüften ausgereizt ist und die aktive Kühlung insbesondere durch Kaltwassersätze über einen abgestimmten Systemverbund noch zusätzliches Einsparpotenzial eröffnet“, so Lober: „Vor allem jüngere Kälteanlagenbauer haben jetzt schon hochinteressante Ideen, wie man ener­getische Lasten in den Gebäuden unter Einbeziehung der gesamten Wärme-, Lüftungs- und Kältetechnik verschiebt, um ein Maximum an Effizienz zu erreichen. Diese Ansätze gilt es weiter aktiv zu verfolgen. Hersteller, Planer, Fachhandwerker und Interessensvertretungen müssen nun aber gemeinsam dafür sorgen, dass die Kältetechnik in der Technischen Gebäudeausrüstung den Stellenwert bekommt, der ihr sowohl aufgrund ihres Anteils am Energieverbrauch wie auch aufgrund ihrer Bedeutung für klimatisch komfortable Arbeits- und Lebensbedingungen in den Gebäuden zukommt.“

Bilder: Systemair GmbH

www.systemair.de
www.fgk.de

 


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