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Neuer Schub durch Digitalisierung

Tagung stellt innovative technische Lösungen für die Energiewende vor

Die „7. Handelsblatt Jahrestagung Erneuerbare Energien“ in Berlin stellte Lösungen für die

Energiewende vor. Im Bild Prof. Dr. Eicke Weber, langjähriger Leiter des Fraunhofer-Institutes für Solare Energiesysteme (ISE). Bild: Wilming

Ohne digitale Netzwerkfunktionen nicht vorstellbar: Europas größtes Dünnschicht-PV-Kraftwerk mit einer Leistung von 128 MWp in der Nähe von Berlin, ausgerüstet mit Zentralwechselrichtern von SMA. Bild: SMA

Stand der Energiewende in Deutschland, aufgeteilt nach Sektoren. Bild: Enercity

Innovative Lösung: Pumpspeicheranlage nach dem Hohlkugelprinzip. Bild: Fraunhofer IWES

Funktionsschema des Hohlkugelprinzips im Detail. Bild: Fraunhofer IWES

 

Die Erneuerbaren Energien werden unsere Strom- und Wärmeversorgung noch stärker als bisher verändern. Sie müssen es sogar, wenn die Energiewende nicht auf halbem Weg stehen bleiben soll. Lösungsvorschläge zu diesem Thema prägten das Programm der „7. Handelsblatt Jahrestagung Erneuerbare Energien“ in Berlin.
In einer Zeit, in der die Energiewende offensichtlich ins Stocken geraten ist, kommt ein Referat wie das von Dr. Rüdiger Knauf gerade richtig. Der CTO Wind Power and Renewables Division von Siemens glaubt fest daran, dass neue Technologien und die Digitalisierung der Branche der EE einen neuen Schub geben können. Das könne z. B. die Innovation bei Windturbinen, Kraftwerken und im Service vorantreiben. „Im August 2014 hat Siemens Wind Service in Dänemark ein neues Ferndiagnosezentrum in Betrieb genommen“, berichtete Knauf. „Wir überwachen von dort weltweit etwa 10000 Windturbinen, können 85 % der anfallenden Probleme ferngesteuert erledigen und 98 % drohender Fehler an wichtigen Komponenten im Voraus erkennen.“ Das alles könne gelingen, weil man mithilfe von unzähligen Sensoren eine Datenmenge von 200 GB täglich bekomme und mit ihnen zusätzliche Erkenntnisse gewinne, die in die Entwicklung einflössen. Es gelinge sogar, bereits installierte Windturbinen im laufenden Betrieb weiter zu optimieren. Zum Schluss Knaufs Fazit: „Die Digitalisierung wird die wesentliche Voraussetzung dafür sein, dass Windenergieanlagen als vollwertige Kraftwerke anerkannt werden.“

Energiewende in Städten erforderlich
„Um erfolgreich zu sein, benötigen die EE Marktintegration und Sektorkopplung.“ So lautet das Credo von Dr. Susanna Zapreva, Vorstandsvorsitzende enercity der Stadtwerke Hannover AG. „Städte wachsen und werden zu größten CO2-Emittenten. Hier ist eine urbane Energiewende erforderlich.“ Was bedeutet in diesem Zusammenhang urban? Zaprevas Antwort: „In einer Stadt liegen besondere Rahmenbedingungen vor: Geringe Platzverfügbarkeit für Installationen, Grundflächen sind deshalb teuer; strenge regulatorische Vorschriften; im Vergleich zum ländlichen Raum limitierte regionale Ressourcenverfügbarkeit; großer Altgebäudebestand, der nicht direkt kompatibel mit innovativen Energieversorgungstechnologien ist; starker Wettbewerb im Bereich Energie und Infrastrukturdienstleistung.“ Eine städtische Energieversorgung kann nach Zaprevas Worten hocheffizient werden, wenn sie Strom- und Wärmeversorgung koppelt; sie lässt sich durch zusätzliche dezentrale Lösungen beim Kunden sogar noch optimieren. Eine weitere Forderung der enercity-Managerin an eine urbane Energiewende: „Geschäftsmodelle müssen innovativer werden. So sollte man das Verantwortungsbewusstsein der Kunden, das bei dezentralen kundeneigenen Versorgungssystemen ohne Zweifel vorhanden ist, in die Gestaltung einbeziehen. Ferner ist an kombinierte Angebote aus Energielieferung und -dienstleistung zu denken. Und last but not least sind neue Technologien erforderlich.“ Zum Schluss formulierte Frau Zapreva noch einige Gedanken, die nicht nur für die innerstädtische Energieversorgung wichtig sind: „Notwendige legislative Rahmenbedingungen müssen teilweise angepasst werden; notwendige Voraussetzung beim Endverbraucher ist Energieeffizienz; wesentlich ist ein nachhaltiger Investitionsrahmen für erneuerbare Technologien.“

Speichern in Unterwasser-Hohlkugeln

Wenn es darum geht, technische Lösungen zu kreieren, sind deutsche Ingenieure immer wieder in der Spitze zu finden, auch im Bereich von Energiespeicheranlagen. Das verdeutlichte der Vortrag von Matthias Puchta, Abteilungsleiter Energiespeicher des Fraunhofer IWES e. V. in Kassel. Um die Problemlösung besser zu verstehen, zunächst einmal ein Blick auf Pumpspeicherkraftwerke. Die größte Anlage in Deutschland bringt es auf eine Leistung von 1,06 GW und steht in Goldisthal, die zweitgrößte mit 1,05 GW im sächsischen Markersbach. Insgesamt ist eine Pumpspeicherleistung von etwa 7 GW installiert. Geplant sind Anlagen mit weiteren 2,76 GW, die bis zum Jahr 2020 in Betrieb gehen sollen. Das Funktionsprinzip ist immer gleich: Bei überschüssiger elektrischer Energie drücken große Pumpen Wasser von einem niedrigen auf ein höheres Niveau und schaffen damit potenzielle Energie, die sich bei Bedarf nutzen lässt. Sie zeichnen sich durch geringe Energiekosten, eine hohe Kapazität und einen hohen Wirkungsgrad aus. Puchta spricht in seinem Beitrag von 88 % (!). Nachteile sind vor allem die hohen Baukosten und langen Bauzeiten sowie, vor allem in Deutschland, der Mangel an geografisch günstigen Voraussetzungen. Diese Abhängigkeit war es, die die Ingenieure des IWES nach einer optionalen Lösung suchen ließ. In einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt mit dem Namen StEnSEA (Stored Energy in the SEA) entwickelten sie einen Hohlkugelspeicher aus Beton mit einem Durchmesser von 30 m und einer Kapazität von 20 MWh, der in der Nähe von Offshore-Windenergieanlagen auf dem Meeresboden installiert werden kann. Das Funktionsprinzip gleicht dem herkömmlicher Pumpspeicherkraftwerke, wobei die Hohlkugel dem unteren und das darüber liegende Meereswasser dem oberen Speicherreservoir entspricht: Aus dem Meer einströmendes Wasser treibt eine Turbine an, die Strom erzeugt. Bei einem Überschuss an elektrischer Leistung wird das Wasser wieder teilweise oder ganz aus der Hohlkugel ins Meer gepumpt. Eine Kugel kann bis zu 20 MWh Energie speichern. Je größer die Wassertiefe, desto größer auch der hydrostatische Druck, der die Menge der potenziellen Energie ausmacht. Im November 2016 startete ein Modellversuch im Bodensee in einer Wassertiefe von 100 m; zwei Monate später konnte Puchta vermelden, dass der Test geglückt sei und alles wie geplant funktioniert habe. In einem Folgeprojekt in etwa drei bis fünf Jahren wolle man größere Kugeln einsetzen und längerfristige Tests durchführen, dieses Mal im Meer, etwa in Südeuropa oder in Norwegen.

Power-to-Heat in Hybridheizungen

Auch Adrian Willig, Geschäftsführer des Instituts für Wärme und Öltechnik e. V., beschäftigte sich mit der Sektorkopplung. Er sieht sie auf dem Weg zu einem optimierten Strom- und Wärmemarkt als Lösungsmöglichkeit mit großem Potenzial und versuchte eine Antwort auf die Frage, welchen Beitrag die „Power-to-Heat“-Technologie in diesem Kontext leisten kann.  Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die verdrießliche Tatsache, dass  Stromkunden Millionen zahlen müssen für Strom, den Windenergieanlagen nicht erzeugen können, weil das Netz ausgelastet ist und Engpässe auftreten können, was eine Abregelung der Leistung technisch notwendig macht. Willig schlägt vor, stattdessen den überschüssigen Strom nach dem „Power-to-Heat“-Prinzip in Hybridheizungen einzusetzen. Das biete einige Vorteile wie die Einsparung von fossilen Brennstoffen, die Integration Erneuerbarer Energien und die Stabilisierung des Netzes.

Power-to-Gas- und Power-to-Liquid
Der Begriff Sektorkopplung ist in jüngster Zeit in Fachdiskussionen häufig zu hören. Gemeint ist damit die Verknüpfung unterschiedlicher Energiemärkte, wobei Elektrizität, Wärme und Mobilität die Sektoren darstellen. Auch für Daniel Hölder ist die Sektorkopplung der Schlüssel für eine effiziente und flexible Nutzung Erneuerbarer Energien. Die Bedeutung einer solchen Verknüpfung machte der stellvertretende Vorsitzende des Vorstandes Bundesverband BioEnergie e. V. (BBE) in seinem Referat an einem Beispiel deutlich: „Bei der Stromerzeugung aus Wind und Sonne ergeben sich keine thermischen Umwandlungsverluste. Deshalb ist die Verwendung von Strom aus EE in anderen Sektoren effizient und spart Treib­hausgase ein. Außerdem stellt die Verwendung von Strom in anderen Sektoren eine der wichtigsten Flexibilitätsoptionen zum Ausgleich der fluktuierenden Stromerzeugung aus Sonne und Wind dar.“ Wenig flexibel seien Nachtspeicherheizungen, monovalente Wärmepumpen und KWK-Anlagen ohne Wärmespeicher. Kombiniere man aber beispielsweise einen Elektroheizer mit einer Gasheizung oder verwende eine bivalente Wärmepumpe, habe man es mit einer flexiblen Lösung zu tun. Als beste Lösung im Sinne einer gelungenen Sektorkopplung seien Power-to-Gas- und Power-to-Liquid-Systeme anzusehen. Mit zunehmendem EE-Anteil steige die Bedeutung der Sektorkopplung, so Höhler weiter. Als BBE-Lobbyist betonte er die Bedeutung der Bioenergie in diesem Szeneario: „Sektorkopplung und Bioenergie gehören zusammen und ergänzen sich. Sie sind die Garanten einer stabilen Stromversorgung sowie einer klimaneutralen Mobilität in einem vollständig erneuerbaren Energiesystem.“

Smart Grid für die Energieübertragung
Wo liegen die Wachstumsfelder der Zukunft? Haben traditionelle EVUs die gleichen erfolgskritischen Fähigkeiten wie beispielsweise ein Energieriese wie E.ON? Welche Implikationen ergeben sich daraus? Diese drei Kernfragen sind es, die Anja-Isabel Dotzenrath, COO der E.ON Climate & Renewables GmbH aus Essen, in ihrem Referat zu beantworten versuchte. Die neue Energiewelt biete enorme Wachstumspotenziale, speziell in den Bereichen Energienetze, EE-Anlagen und Kundenlösungen. Um die Größenordnungen zu verdeutlichen, nannte Dotzenrath gleich einige Zahlen: Für die europäischen Netze erwarte man Investitionen von mehr als 36 Mrd. Euro pro Jahr, bei den Wind- und PV-Anlagen eine Summe von 40 Mrd. Euro und auf der Kundenseite für Infrastruktur und Services ein Marktvolumen von jährlich 5 Mrd. Euro. Es werde nicht bei kleinen Veränderungen bleiben.
„Bei der Energieübertragung werden wir es zukünftig mit intelligenten Netzen und bidirektionalen Lastflüssen zu tun bekommen, die es vorher so nicht gab“, sagte Dotzenrath. In diesem Bereich sei man als E.ON gut aufgestellt und habe im kommenden Wettbewerb eine starke Ausgangsposition: dank eines bereits vor längerer Zeit erfolgten Einstiegs in die Digitalisierung, dank immer schon geübter intensiver Kundenorientierung und dank nachgewiesener Fähigkeit, neue Technologien zu adaptieren. Bei kleineren EVUs setzte sie Fragezeichen hinsichtlich dieser Erfolgsfaktoren und Fähigkeiten. Wettbewerbsfähig seien diese im Bereich der Energienetze allein bei den Punkten Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit sowie bei der Integration dezentraler Erzeuger. Große Erzeugeranlagen mit planbarer Produktion dürften nach und nach verschwinden und kleineren dezentralen Anlagen mit schwankender Erzeugung Platz machen. „Bei den EE-Anlagen müssen wir uns anstrengen“, gab Dotzenrath zu. „Hier herrscht ein harter Wettbewerb, zumal bei Ausschreibungen. Trotzdem sehen wir uns hier gegenüber den kleineren Versorgern im Vorteil. Denn zu diesem Geschäft mit großen Anlagen gehören eine bestimmte Größe und die Fähigkeit des Financial Engineering, das vielen kleineren Wettbewerbern fehlen dürfte.“
Auch bei den erforderlichen innovativen Kundenlösungen glaubt E.ON, mehr bieten zu können als kleinere EVUs. Denn statt Standardprodukten werde man dem Kunden innovative Lösungen anbieten müssen und der Tatsache Rechnung tragen, dass er nicht mehr nur als Stromverbraucher, sondern gleichzeitig als Stromlieferant am Energiemarkt beteiligt ist. Mit den Fähigkeiten, sich gut in die Situation von Kunden hineindenken sowie digitale Plattformen bereitstellen und Datenanalysen liefern zu können, sei E.ON auch in diesem wichtigen Bereich gut aufgestellt. Wie selbstbewusst man in diesem Punkt ist, zeigt nebenstehende Grafik.

Autor: Wilhelm Wilming, freier Fachautor

 


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